Opernpremiere in Berlin: Der Geburtstag einer großen Oper
Gelungene Premiere in der Deutschen Oper Berlin: „Der Zwerg“ von Alexander von Zemlinsky, inszeniert von Tobias Kratzer.
Noch immer gilt Alexander von Zemlinsky als Geheimtipp der Musikgeschichte, der Mann, der im Schatten der Großen am Anfang des 20. Jahrhunderts stand, Schönberg und Mahler vor allem, mit denen er freundschaftlich und sogar familiär verbunden war. Schönberg heiratete Zemlinskys Schwester, die ihn dann mit einem Maler betrog, und so geht es immer weiter mit amourösen und künstlerischen Anekdoten, großen und weniger großen Namen und ihren Zufällen. Nur über Zemlinskys Musik wird nicht gesprochen und aufgeführt wird sie nur ganz selten.
Der erst 39 Jahre alte Regisseur Tobias Kratzer macht damit nun Schluss, radikal und selbstbewusst. Denn er weiß natürlich, dass wir bei Zemlinskys sechster Oper „Der Zwerg“, 1922 uraufgeführt, nur auf Alma Schindler warten, später besser bekannt als Alma Mahler-Werfel. Zemlinsky war ein eher kleingewachsener, nicht besonders gut aussehender Mann, der sich sofort in die schöne Alma verliebte.
Sie wollte bei ihm das Komponieren lernen. Wie immer bei Frau Schindler ging das nicht gut aus, aber weil sich offenbar niemand ernsthaft für Zemlinskys Musik interessierte, setzte sich die Legende durch, seine Oper sei nichts weiter als die autobiografische Verarbeitung dieser Affäre.
Alma und Zemlinsky am Klavier
Nächste Aufführungen am Mi 27.03.2019 - 19:30 Uhr, Sa. 30.03.2019 - 19:30 Uhr, So. 07.04.2019 - 18:00 Uhr, Fr. 12.04.2019 - 19:30 Uhr
Das ist blanker Unsinn, den Kratzer mit einem klugen Kunstgriff aus der Welt schafft. Bevor Zemlinskys Oper anfängt, sehen wir die beiden tatsächlich in einem akkurat im Stil der 20er Jahre möblierten Salon des Wiener Bürgertums. Sie sitzen am Flügel, mal abwechselnd, mal zusammen. Sie versuchen, sich zu küssen, greifen dann aber doch lieber in die Tasten, denn sie müssen wirklich Klavier spielen, nämlich Schönberg. Was denn sonst?
Donald Runnicles spielt zu dieser Pantomime einer Pianistin und eines Pianisten mit dem Orchester der Deutschen Oper Schönbergs Opus 34 von 1930, benannt als „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene für Orchester“.
Das Lichtspiel gibt es nicht, das Stück beruht ausschließlich auf einer einzigen Reihe von zwölf Tönen. Beim bloßen Zuhören ist das nicht zu erkennen, aber es klingt alles unglaublich gut, unter anderem, weil die riesige Orchesterbesetzung auch ein Klavier vorschreibt. Die beiden oben auf der Bühne sind keine Dekoration, sie spielen wirklich mit, obwohl die Frau den Mann immer weniger mag und ihn am Ende in die Ecke wirft. Frau Schindler mal wieder, die Ouvertüre ist zu Ende, der Vorhang fällt.
Keine Alma, kein Schönberg, nur Zemlinsky und Oscar Wilde
Er öffnet sich sofort wieder, das Orchester spielt ein kurzes Fanfarenmotiv und alles ist ganz anders. Keine Alma, kein Schönberg, nur Zemlinsky und Oscar Wilde. Der homosexuelle Ire hat die von ihm „Märchen“ genannte Erzählung „Der Geburtstag der Infantin“ geschrieben.
Georg Klaren, ein professioneller Drehbuchautor der damaligen Filmindustrie, hat sie für Zemlinsky übersetzt und dramatisiert. Manchmal kommt Wilde darin etwas geschwollen daher, aber das macht nichts, weil der entscheidende Satz auch von Shakespeare sein könnte: „Das Schönste ist hässlich.“
Wildes Handlung ist ein Gedankenexperiment. Warum vertrauen wir unseren Spiegeln? Die Infantin des Märchens ist die Thronanwärterin am spanischen Hof und feiert in den Schlossanlagen von Madrid ihren 18. Geburtstag. Irgendein Sultan schenkt ihr die Missgeburt eines buckligen Zwerges, der sehr schön singen kann und sich für einen glorreichen Ritter hält, aber nicht zu wissen scheint, wie ekelerregend er aussieht. Wenn alle über ihn lachen, meint er, dass sie sich freuen, ihn zu sehen. Er verliebt sich in die Infantin, die ihrer Zofe befiehlt, ihm den Spiegel vorzuhalten. Das ist der Tod des Zwerges.
Spiegelbild oder nur ein Gespenst?
Ob es ein Selbstmord ist, bleibt bei Kratzer offen, denn er entwickelt aus dieser bitter sezierenden Fallstudie eine Tragödie, die tief berührt. Eine Spiegelwand verschließt das ganze Bühnenportal. Natürlich sieht der Zwerg sein Spiegelbild, aber er hält es für ein böses Gespenst. Um dieses verzweifelte Selbstgespräch zum Theater zu machen, spaltet Kratzer die Rolle auf.
Der überragend singende britische Tenor David Butt Philip singt Zemlinskys Noten, der zwergwüchsige Berliner Schauspieler Mick Morris Mehnert spielt seine Figur, zunächst etwas irritierend im strahlend weißen Prachtsaal des spanischen Hofes mitten unter den mal lasziv, mal streng kostümierten Hofdamen, dann aber auch hinter den Spiegeln, damit der Zwerg ihn wirklich sehen und bekämpfen kann.
Musikalisch intensives Theater
Das ist virtuoses Thaterhandwerk. Elena Tsallagova kann sich einmischen in diesen inneren Kampf um Leben und Tod in der Rolle der Infantin im goldglitzernd-modischen Rock. Sie versteht das Unglück dieses Menschen, den sie dann aber doch „Tier“ nennt.
Sie singt zurückhaltend genau, nie triumphierend, und so entsteht ein ebenso schauspielerisch wie musikalisch intensives Theater, das sehr gut auf spektakuläre Szenen und Bilder verzichten kann. Die gibt es nicht, weil Kratzer sie nicht braucht. Er denkt nur das Drama zu Ende, das diesem Werk zu Grunde liegt.
Es dauert weniger als 90 Minuten, füllt aber den ganzen Abend danach aus. Das liegt an Wildes Scharfsinn, der nachhallt in der Musik von Zemlinsky mit ihren weit ausgreifenden Melodien in fließend schillernden Harmonien. Donald Runnicles, Chefdirigent der Deutschen Oper, hat ihr ein längst fälliges Geburtstagsfest veranstaltet. Das Premierenpublikum zumindest hat ihm dafür mit einhelligem Applaus gedankt.
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