Opernbau in Istanbul: Erdoğans Gigantismus
Kulturschaffende laufen Sturm. Präsident Erdoğan will am Taksim-Platz in Istanbul ein riesiges Opernhaus errichten lassen.
Der rote Kubus ist die Hülle für einen spektakulären Opernsaal, in dem 2.500 Menschen Platz finden sollen – es soll zu einem der weltgrößten Opernhäuser werden. Die Fassade kann in einen gigantischen Bildschirm verwandeln werden, der die Opernaufführung auch auf den Platz vor dem Gebäude übertragen könnte, aber nicht nur die Oper, auch andere Veranstaltungen im zukünftigen Kulturzentrum könnten dort gezeigt werden. Das Video des Istanbuler Architekturbüros Tabanlıoğlu lässt Blicke aus jeder Perspektive zu und vermittelt den Eindruck eines höchst modernen, interessant konzipierten und vielfältig nutzbaren Kulturzentrums.
„Das Haus“, so Murat Tabanlıoğlu bei der Präsentation des Projekts vor wenigen Tagen, „wird das neue Zentrum eines pulsierenden Istanbul. Wir sind stolz, dieses Gebäude bauen zu dürfen.“ Den Startschuss für den Bau gab niemand Geringerer als der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Gemeinsam mit seinem Kulturminister Numan Kurtulmuş habe er den Entwurf ausgewählt, sagte er bei der Präsentation, nun werde er „gemeinsam mit dem Minister den Baufortschritt genau verfolgen“.
Bereits 2019 soll die neue Oper von Istanbul ihre Pforten öffnen. So spektakulär die Pläne an sich sind, seine eigentliche Bedeutung gewinnt das Gebäude, so es denn realisiert wird, durch den Ort, an dem es entstehen soll. Das neue Kulturzentrum soll an der Stelle gebaut werden, wo jetzt noch die Ruine des Atatürk-Kulturzentrums (AKM) am zentralen Istanbuler Taksim-Platz steht. Dieses Kulturzentrum gehört zu den symbolisch am stärksten aufgeladenen Gebäuden der Türkei.
Das kulturelle Herz des Landes
In den 30 Jahren, in denen es in Betrieb war, repräsentierte es alles, was die moderne kemalistische Türkei kulturell sein wollte und was die islamische AKP Erdoğans ablehnt. Eine große Oper, vitale Theatervorstellungen, aber auch Raum für kontroverse politische Veranstaltungen. So war das „AKM“ Jahrzehnte lang tatsächlich das kulturelle Herz des Landes. Orhan Alkaya, einer des bekanntesten Theaterregisseure der Türkei, sagte über das alte AKM: „Es war ein Genuss, dort zu arbeiten. Das AKM ist für meine Generation nicht nur ein Gebäude. Es ist ein wesentlicher Erinnerungsort für das kulturelle Leben der Türkei.“
Weil es vielen türkischen Künstlern und Intellektuellen so geht, ist der geplante neue Bau schon deshalb eine Provokation, weil der alte dafür abgerissen werden soll, statt saniert zu werden. „Ich bin strikt gegen den Abriss“, sagt Ahmet Say, Musikkritiker und Vater des bekanntesten türkischen Pianisten Fazıl Say. „Wenn wir an den Taksim-Platz denken, sehen wir das AKM und die großen Demonstrationen zum 1. Mai. Die AKP und Erdoğan wollen die Erinnerung an beides auslöschen.“
Denn das AKM erinnert auch noch an ein anderes Ereignis aus der jüngeren politischen Geschichte, das Erdoğan gerne vergessen lassen möchte. Als im Mai 2013 die Gezi-Proteste in dem direkt an das AKM angrenzenden Park begannen, stand das Atatürk-Kulturzentrum bereits fünf Jahre leer. Wegen angeblicher schwerer Baumängel hatte die AKP-Stadtverwaltung das Gebäude sperren lassen.
Alle Anläufe zur Sanierung scheiterten, obwohl die Kulturstiftung der Sabancı Holding umgerechnet mehr als sechs Millionen Euro für die Sanierung zur Verfügung gestellt hatte. Trotz anderslautender Beteuerungen war der Regierungspartei AKP das Gebäude immer ein Dorn im Auge. Das AKM prägte den republikanischen Charakter des Taksim-Platzes und die Oper war und ist für die AKP nichts anderes als Ausdruck „westlicher Dekadenz“, mit der „unsere Leute“, wie ein früherer AKP-Kulturminister sich ausdrückte, nichts anfangen können. Es war ein offenes Geheimnis, dass Erdoğan das AKM am liebsten abreißen lassen würde, um dort Platz für den Bau einer großen Moschee schaffen zu können.
Während der Gezi-Proteste wurde das leerstehende Gebäude von Aktivisten der Protestbewegung besetzt, die dort ihr Hauptquartier errichteten. Bunte Plakate schmückten die Fassade, vom Dach des AKM ließen sich die Polizeibewegungen gut beobachten. Als Erdoğan die Gezi-Proteste Ende 2013 brutal niederschlagen ließ, wurden das AKM geräumt und dort Polizeieinheiten einquartiert, die seitdem dafür sorgen, dass auf dem Taksim-Platz keinerlei Demonstrationen mehr stattfinden.
Viel Freiraum existiert nicht mehr
Zuletzt wurde der Taksim-Platz verkehrsberuhigt und in städtebauliche Ödnis umgewandelt. Auf der dem AKM gegenüberliegenden Seite wurde im Februar mit dem Bau einer Moschee begonnen, allerdings in kleinerem Maßstab, als Erdoğan es für den Taksim-Platz eigentlich gerne gehabt hätte. Obwohl der Präsident bei der Ankündigung des Neubaus noch einmal auf die „ideologisch verbohrten Kritiker“ seiner Projekte eindrosch, ist der jetzt geplante Neubau doch ein unausgesprochenes Kompromissangebot an die säkulare Kulturszene.
Architekt Murat Tabanlıoğlu ist der Sohn des Erbauers Hayati Tabanlıoğlu, er könnte dessen Vermächtnis fortführen. Außerdem soll das Gebäude den Namen „Atatürk Kültür Merkezi“ beibehalten. Wie weit aber der Freiheit der Kunst in dem Neubau Platz eingeräumt wird, ist eine ganz andere Frage. Schon lange müssen Theateraufführungen in öffentlichen Spielstätten vom zentralen staatlichen Kulturausschuss genehmigt werden, viel Freiraum existiert da nicht mehr.
Erdoğan tröstet sich derweil mit der Vorstellung, dass unter seiner Regie erneut ein Projekt der Superlative realisiert wird. Eines der „größten, schönsten und besten Opernhäuser der Welt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Außenministertreffen in Brüssel
„Europa spricht nicht die Sprache der Macht“