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Opera minima - da da da

■ Uraufführung der Riemannoper von Tom Johnson im Concordia: Der Sargdeckel öffnete sich / Riemanns Musik-Lexikon ist Spielmaterial für eine musikalische Parodie

Über die traditionelle Oper darf schon mal länger gelacht werden, nun auch über deren Darstellung in einem sehr verbreiteten musikalischen Nachschlagewerk. Das von Hugo Riemann (1849-1919) gesammelte lexikalische Wissen über besondere Ausdrucksformen der Oper ist Spielmaterial für eine musikalische Parodie, die sich wohl nicht nur auf den damals etablierten Musikbetrieb und dessen Gepflogenheiten bezieht. Tom Johnson hat eine Oper geschrieben, die keine Handlung, sondern sich selbst zum Thema hat. Ihre besonderen historischen Erscheinungsformen werden aus dem Lexikon definiert, imitiert, karikiert, verfremdet.

Vor einem pompös-gerafften roten Plüschvorhang mit mächtigem Goldtroddeln und einer Riemann-Büste agieren vier Sängerinnen mit einer Klavierbegleitung. An der Seite ein Sarg, aus dem eine wächserne Hand auf das berühmte Lexikon weist. Der Deckel dieses Sargs öffnet sich zu

den Erläuterungen eines gespenstischen Nachtschattenstücks. Reimanns leibhaftiger Geist darf kurze Zeit auferstehen und den singenden Gestalten in einer absurden Prozession folgen wobei er den Sargdeckel hinter sich herzieht, während Wagner zum wiederholten Male als „Leitmotiv“ in Filzpantoffeln durch den Raum schlurft. Die Mittel, die zur „Erregung des Schauers“, der Absicht solcher Ombra-Szenen, dienen, werden nicht nur wörtlich vorgetragen, sondern auch genau nachgespielt und damit der Lächerlichkeit überführt. Johnson demoliert die Gegenstände seiner Parodie und macht sie unbrauchbar - wie andere vor ihm schon, wenn auch vielleicht nicht immer auf ebenso witzige Weise.

Johnson benutzt einen eingeschränkten Tonvorrat, der kaum sinnvoll zu entfalten ist, für einen Gag wie diese Oper aber ausreicht. Es gelingt, mit einfachen musikalischen Mitteln Aussagen des Textes zu präzisieren und

gleichzeitig zu karikieren, wozu der Kontrast zwischen dem gravitätischen Stil der Textvorlage und der musikalischen Simplizität beiträgt. Komisch-groteske Einfälle der Regie und sehr gute Darstellungen der Sängerinnen unterstützen diese Absicht.

So verwandeln sich die elegant gekleideten Akteure mühelos in eine stampfende Rockband mit aufblasbarer Plastikgitarre, die bis zur Erschöpfung dem folgt, was im Lexikon als Charakteristik dieses Stils angegeben ist: „Das hartnäckige Wiederholen kurzer Melodienphasen“. Am Ende beginnen die wenigen tatsächlich benützten Saiten des Flügels heftig zu qualmen - eine löbliche Selbstironie des Komponisten. Nachdem Johnson seiner „Vier-Ton-Oper“ mit diesem Stück eine wenigstens zu Teilen Zwei-Ton-Oper hat folgen lassen, sollte er nunmehr auf weitere Reduktionen zugunsten des Instruments verzichten.

Helga Kühl-Schelz

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