Online-Initiative "Igel" im Interview: "Da wird viel Lobbyarbeit gemacht"
Die großen Medienkonzerne wollen ein Leistungsschutzrecht, das zu Veränderungen im Netz führen könnte. Dagegen wendet sich Till Kreutzer, Mitgründer der Online-Initiative "Igel".
taz: Herr Kreutzer, Sie haben zusammen mit bekannten deutschen Blogs und einigen Internet-Unternehmen die "Initiative gegen das Leistungsschutzrecht" gegründet. Was ist das Ziel von "IGEL"?
Till Kreutzer: IGEL soll einerseits über das Thema aufklären und eine zentrale Informationsressource rund um das Leistungsschutzrecht darstellen. Andererseits wollen wir über die Plattform einen möglichst breiten Widerstand gegen dieses bedenkliche Gesetzesvorhaben organisieren und demonstrieren. Daher haben wir uns das Konzept der "Unterstützer" überlegt, nach dem Blogs, Unternehmen, Initiativen und andere Institutionen ihre Ablehnung demonstrieren können, indem sie auf unserer Seite genannt werden.
So mancher Beobachter meinte bereits, das Thema sei eingeschlafen. Wie ist der aktuelle Stand beim Leistungsschutzrecht (LSR)?
Nach meinen Kenntnissen ist das Bundesjustizministerium - trotz des breit angelegten Widerstands, den die Wirtschaft mit ihrem Verbandspapier erklärt hat - entschlossen, einen Gesetzesentwurf vorzulegen. Im Frühjahr wird er voraussichtlich vorliegen.
Till Kreutzer ist Experte für Informationsrecht. Der Anwalt leitet das Referat Urheberrecht am Institut für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software (ifrOSS) in Berlin und hat mit "IGEL" eine Initiative gegen das Leistungsschutzrecht gegründet.
Mit dem Leistungsschutzrecht (LSR) wollen die Presseverlage im Internet zusätzliche Einnahmen für ihre Online-Angebote generieren, die sie nach eigenen Aussagen durch Werbung und Paid Content nicht refinanzieren können. Dabei sollen sowohl gewerbliche Nutzer zahlen, die Verlagsinhalte betrachten, aber auch Firmen, die kurze Verlagsinhalte ("Snippets") nutzen, die bislang nicht unter dem Urheberrechtsschutz stehen. Blogger nennen das LSR deshalb auch eine "Zitierabgabe".
Wie sehen Sie aktuell die Chancen, dass das Leistungsschutzrecht kommt, wie von den Medienkonzernen erhofft?
Die Presseverlage haben sehr effektives Lobbying betrieben und sind schon weit gekommen. Ich hoffe dennoch - sonst hätte ich IGEL ja nicht ins Leben gerufen -, dass letztlich die Vernunft siegt. Nicht das Bundesjustizministerium macht das Gesetz, sondern der Bundestag. Und darüber ist das letzte Wort sicher noch nicht gesprochen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat sich zusammen mit zahlreichen weiteren Industrie- und Handelsverbänden ungewöhnlich scharf gegen die Pläne der Verleger geäußert. Mittlerweile ist es recht ruhig geworden. Läuft da hinter den Kulissen Lobbyarbeit?
Ich gehe davon aus, dass beide Seiten weiterhin intensive Lobbyarbeit machen. Es ist unwahrscheinlich, dass die deutsche Wirtschaft das Thema auf sich beruhen lässt. Dass es um die Diskussion ruhig geworden ist, ist übrigens ein weiterer Grund für IGEL. Wir wollen die Diskussion transparent machen und in die Öffentlichkeit tragen. Das Thema ist von großer gesamtgesellschaftlicher Bedeutung, es sollte auch in der Gesellschaft öffentlich diskutiert werden.
Das Thema ist ja durchaus komplex. Wie groß ist der Aufklärungsbedarf?
Er ist sehr groß. Daher unser Ansatz, es möglichst so zu erklären, dass es jeder verstehen kann, der sich hierüber informieren will. Das LSR soll zweierlei Folgen haben: Zum einen sollen News-Aggregatoren wie vor allem Google News, aber im Zweifel auch eine Vielzahl anderer Dienste, Geld dafür bezahlen, dass sie in den Suchergebnisse "Snippets" anzeigen - winzige Ausschnitte aus den Online-Angeboten der Presseverlage. Zum anderen sollen gewerbliche Nutzer zukünftig dafür bezahlen, dass sie die frei und kostenlos zugänglichen Online-Angebote der Verlage nutzen, also dort Artikel lesen.
Welche Situation erwarten Sie im deutschsprachigen Internet, wenn das LSR so kommen sollte, wie es sich die Medienkonzerne wünschen?
Es würde im Zweifel dazu führen, dass viele Unternehmen - nach meiner Einschätzung auch die News-Aggregatoren und Suchmaschinen - die Webseiten der Verlage sperren, wenn sie darauf verzichten können. Und das ist weder im Sinne der Verlage noch der Nutzer noch der Informationsgesellschaft. Das Leistungsschutzrecht ist ein Irrweg, der an einer marktwirtschaftlichen Lösung vorbei zu einem neuen Geschäftsmodell führen soll.
Auch die Journalistenverbände haben sich positiv zum LSR geäußert, weil sie glauben, dass es Redakteuren und Freien hilft. Zudem ist ja möglicherweise mehr Geld drin.
Nicht alle. Der Verband der freien Journalisten Freischreiber unterstützt IGEL und spricht sich damit klar gegen das Leistungsschutzrecht aus. DJV und DJU behaupten, sie würden am Verhandlungstisch sitzen, da das LSR ja ohnehin kommt, es stehe ja schließlich im Koalitionsvertrag. Ich halte diese Argumentation für vorgeschoben und habe für diese Haltung auch kein Verständnis. Jeder weiß, dass viele Ankündigungen in Koalitionsverträgen nicht umgesetzt werden. Und: Es ist ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger, kein LSR für Journalisten. Wem, glauben Sie, wird das LSR letztlich nützen?
Welche Auswirkungen sehen Sie auf die Arbeit von Journalisten?
Gewerbliche Nutzer sollen zukünftig dafür zahlen, die frei und kostenlos zugänglichen Webseiten von Verlagen zu nutzen. Das trifft auch Journalisten, vor allem natürlich die freien. Und wenn das LSR wirklich "Snippets", also kurze Textauszüge, erfassen und einem Monopolrecht unterwerfen soll, dann liegt wohl auf der Hand, was es für jeden bedeutet, der in deutscher Sprache öffentlich kommuniziert und publiziert.
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