Olympische Sommerspiele in Rio: Golfplatz im Naturschutzgebiet
In Brasilien kritisieren Aktivist*innen die Olympia-Vorbereitung. Neue Infrastruktur gibt es vor allem in Reichenvierteln, Arme werden geräumt.
Doch die Kritiker, insbesondere die Aktivistinnen und Aktivisten vom „Volkskomitee WM und Olympia“, zeichnen ein anderes Bild der Spiele, die zwischen dem 5. und 21. August 2016 unter dem Zuckerhut stattfinden werden. Das vierte „Dossier zu Megaevents und Menschenrechtsverletzungen in Rio de Janeiro“, das am Dienstag vorgestellt wurde, listet zahlreiche Verfehlungen auf. Auch die taz-Leserinnen und -Leser haben mit ihren Spenden im Rahmen der WM-Kampagne letztes Jahr dazu beigetragen, dass das über 200 Seiten starke Dossier erscheinen konnte.
Eines der großen Themen des Berichts ist die sozial unausgewogene Politik des öffentlichen Nahverkehrs: Milliardenbeträge werden investiert, um eine U-Bahn-Linie in das Strandviertel Barra da Tijkuca zu bauen, wo die meisten Olympia-Aktivitäten stattfinden werden. Hinzu kommen Schnellbuslinien und eine Straßenbahn im Stadtzentrum. Das Dossier weist nach, dass die Verbesserungen vor allem die Transportlage in den reicheren Stadtvierteln betreffen, während zugleich Verbindungen zwischen armen und reichen Vierteln eingestellt werden.
Obwohl just Fahrpreiserhöhungen Auslöser der Protestwelle 2013 waren, werden die Busse und Bahnen immer teurer. Mittlerweile geben die Brasilianer mit rund 20 Prozent ihres Geldes für Transport fast so viel aus wie für ihre Ernährung. Einer Studie zufolge sind die Transportkosten für arme Familien in den letzten sechs Jahren um 30 Prozent angestiegen, während reiche Familien 15 Prozent weniger für ihre Mobilität ausgeben müssen.
Verlogene Gesetzesanwendung
Auch die behaupteten positiven Effekte der Sommerspiele auf den Breitensport zweifeln die Verfasser des Dossiers an: „Viele der neu gebauten Sportstätten, die eigentlich den Sport in Brasilien fördern müssten, haben in Wirklichkeit lokal genutzte Trainingseinrichtungen zerstört. Statt Breitensport zu ermöglichen, wird Sport im Zeichen von Olympia vermarktet und elitisiert.“
Die viel gepriesene ökologische Nachhaltigkeit der Spiele in Brasilien wird ebenso hinterfragt. Die versprochene Säuberung der Gewässer für Ruderer und Segler hat kaum stattgefunden. Stattdessen wurde ein neuer Golfplatz mitten in einem Naturschutzgebiet gebaut. Und für den Bau der Schnellstraße Via Transolímpica samt Schnellbustrasse wurden gar 200.000 Quadratmeter der geschützten Urwaldvegetation Mata Atlántica abgeholzt.
Bitter verweisen die Olympiakritiker darauf, dass damit genau jene Umweltgesetze verletzt wurden, die andernorts als Begründung für die Teilräumung von Armenvierteln herangezogen wurden. Die Favelas siedeln oft an schwer zugänglichen Berghängen mitten im Stadtgebiet, die noch nicht versiegelt wurden. Um ihre Ausbreitung zu stoppen, wird kurzerhand das „ökologische Interesse“ bemüht.
Über 4.000 Familien wurden in Rio de Janeiro im Zuge von WM und Olympischen Spielen aus ihren Häusern vertrieben, rund 2.500 droht dieses Schicksal noch zu ereilen. Fast immer wurde dort geräumt, wo Immobilienspekulation mit im Spiel war, so die Analyse des Dossiers. Zumeist wurden die Betroffenen umgesiedelt – und leben jetzt teils über 50 Kilometer von ihrer einstigen Wohnstätte entfernt, meist mit miserablem Verkehrsanschluss.
Selektive Razzien gegen Schwarze
Auch die Sicherheitspolitik steht in der Kritik. Die anfänglich gelobte Besetzung von Armenviertel mit hoher Gewaltkriminalität durch eine angeblich bürgernahe Polizei seit 2008 hat sich als ineffektiv erwiesen: Die kriminellen Banden sind in den meisten Favelas zurück. Immer wieder sterben Menschen gerade auch bei Polizeieinsätzen, die eigentlich friedliche Verhältnisse schaffen sollten. Zugleich wird eine Politik der sozialen Säuberung forciert.
Nicht nur Straßenverkäufer und Obdachlose werden von den Bürgersteigen vertrieben – jetzt werden auch regelmäßig gewöhnliche Stadtbusse durchsucht, die aus ärmeren Stadtvierteln zum Strand nach Copacabana oder Ipanema fahren. Es sind meistens arme schwarze Jugendliche, die bei solchen Razzien an der Weiterfahrt gehindert werden.
Das ganze Olympiaspektakel soll rund 10 Milliarden Euro kosten. Diese Last sollen die Steuerzahler nur zu einem kleinen Teil schultern, so die offizielle Darstellung. Konkrete Zahlen hat man bislang nicht genannt. Das Dossier der Olympiakritiker hat errechnet, dass 62 Prozent der Kosten von der öffentlichen Hand getragen werden.
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