Olympia ohne ausländische Zuschauer: Kümmerling im Spieleparadies
Weil das Vorsorgeprinzip wieder einmal das Handeln bestimmt, finden die Olympischen Sommerspiele in Tokio ohne ausländische Fans statt.
M anchmal hilft nur ein Blick in die Geschichte: Die Olympischen Spiele von Antwerpen, veranstaltet im Sommer des Jahres 1920, stehen im Zeichen der Spanischen Grippe, vielmehr noch unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs. Es ist zwar schon eine Weile her, dass die dritte Welle der Virusgrippe mit einer wesentlich höheren Sterblichkeit, als wir sie von Corona kennen, zu Ende gegangen ist. Aber die Grippe scheint erst vor wenigen Wochen aufgegeben zu haben.
Deutsche sind als ehemalige Kriegstreiber nicht eingeladen, dafür durfen die anderen Mannschaften erstmals unter der olympischen Flagge antreten; auch der olympische Eid wird zum ersten Mal gesprochen. Und: Zuschauer sind in Antwerpen erlaubt, es wird nicht einmal Fieber gemessen an den Stadiontoren. Die Ticketpreise sind zwar teilweise sehr hoch, weswegen manche Wettbewerbe nicht so gut besucht sind, aber wer will, kann zum Beispiel erstmals Eishockeymannschaften (im August!) zujubeln.
Damals hatten die akut krisengeschüttelten Gesellschaften ein anderes Verhältnis zum Tod, das Risiko war ein ständiger Begleiter im Alltag, und wenn das Schicksal zuschlug, dann wurde das mit einem gewissen Fatalismus hingenommen. Eine höhere Gewalt hatte genommen, was ihr beliebte. Außerdem konnten sich vor allem die Alten daran erinnern, dass es im 19. Jahrhundert mit Typhus, Cholera und Tuberkulose weit schlimmer um die Gesundheit der Europäer stand. Heute haben wir den PCR-Test und den moralischen Anspruch, so viel Risiko zu vermeiden wie möglich. Duldsamkeit ist einer Machbarkeitsillusion gewichen.
Unter diesen Vorzeichen wurde am Samstag verkündet, dass die Olympischen Sommerspiele ein Jahrhundert nach Antwerpen ohne ausländische Zuschauer stattfinden werden. Nur Medienmenschen aus aller Herren Länder sind zugelassen, sie müssen sich allerdings einem strengen Hygienekonzept fügen und zum Beispiel angeben, wo sie wann sind.
Enttäuschung im Team USA
Dieses Verdikt trifft vor allem die USA hart, denn Olympiatourismus gehört dort zum sportiven Kulturgut. Die Fans aus Salt Lake City oder Atlanta, zumeist gewandet in Khaki-Shorts und Polohemd, gehören zu den treuesten in der Szene. Kein Wunder, dass Team USA insgeheim hoffte, „dass diese Botschaft niemals kommen würde“. Es wolle weiterhin für Möglichkeiten eintreten, mit denen „amerikanische Fans die Spiele persönlich erleben können“, heißt es.
„Nie zuvor ist es passiert, dass es ausländischen Zuschauern verboten wurde, während der Spiele ins Gastgeberland einzureisen“, verrät der auf Olympia spezialisierte Professor Jean-Loup Chappelet von der Uni Lausanne, und man weiß nicht, ob der Gelehrte sein Bedauern äußert, eine Anklage formuliert oder schlicht konstatiert. Fakt ist aber auch, dass die kommenden Spiele nur ein Rudiment sein werden, ein Kümmerling unter den großen Sportfesten der Vergangenheit.
Das bunte und laute Treiben wurde einem Vorsorgeprinzip geopfert, das in Japan eigentlich schon seit Monaten sehr gut funktioniert – im Gegensatz zum Corona-Murks in deutschen Landen. Allein ein Blick auf Inzidenzen, Fallzahlen und Todesfälle verdeutlicht, wie unterschiedlich die Pandemie in Japan und Deutschland läuft.
Während hier im Wochen-Schnitt teilweise 894 Menschen pro Tag mit oder an Corona gestorben sind, waren es dort in der Hochphase 98. Während es hier im 7-Tages-Schnitt über 25.700 positiv Getestete gab, waren es in Japan in der Spitze 6.390. Es ist verständlich, dass sich Japan das Virus nicht mit einer großen Reisewelle ins Land holen will, wo es doch bis dato so gut läuft.
Das Opfer ist ein Sportfest, das eigentlich als „Beweis für den menschlichen Triumph über das Virus“ (Japans Organisationskomitee) abgehalten werden sollte. Wäre das Virus ein vernunftbegabtes Wesen, es hätte wohl sehr gelacht mit seinem Kumpel aus Spanien.
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