Olympia-Vorbereitungen: China lehnt "unpatriotische" Kritik ab
Ein Jahr vor den Sommerspielen: Mit 30 Milliarden Dollar wird Peking umgekrempelt. Auch die Bewohner werden auf Olympia-Kurs gebracht.
Noch ist es ein Jahr hin bis zum Großereignis, doch Peking feiert schon mal: Mit Gesang, Tanz und Ansprachen auf dem Platz des Himmlischen Friedens beginnt am Mittwochabend der Countdown für das größte internationale Ereignis in der Geschichte der Volksrepublik: die 29. Olympischen Spiele 2008.
Am - nach chinesischer Vorstellung - glücksbringenden Datum des 8. 8. um acht Minuten nach acht Uhr abends soll das olympische Feuer in der Hauptstadt auflodern. Über eine halbe Million Athleten, Trainer, Funktionäre, Betreuer, Journalisten und Besucher aus dem Ausland, und eine Million Chinesen werden im Sommer 2008 nach Peking strömen. Unter dem Motto "Neues Peking, Neues Olympia" bereitet sich die Metropole auf den Moment vor, an dem vier Milliarden Fernsehzuschauer auf China blicken und staunen sollen: Da präsentiert sich eine neue Weltmacht, deren Hauptstadt innerhalb von wenigen Jahren von Grund auf umgekrempelt wurde - mit breiten Straßen, nagelneuen Geschäfts- und Apartmentvierteln, gesäumt von üppigen Grünstreifen und Parks.
Die Welt soll die kühnsten Stadien und Sporthallen bewundern, die sich in- und ausländische Architekten je erdacht haben: Dazu gehört das Vogelnest genannte Nationalstadion, das aus einem Gewirr von dicken Stahlbetonstreben besteht und 100.000 Zuschauer fasst. Daneben steht der Wasserwürfel, ein Schwimmzentrum mit hellblau schimmernder Außenhaut aus energiesparender Plastikfolie. Zu den Errungenschaften zählen auch die in China als "Pyramiden des 21. Jahrhunderts" gepriesenen Neubauten des staatlichen Fernsehsenders CCTV, dessen Türme schräg emporragen und sich in der Form von zwei verdrehten "L" in über 200 Metern Höhe treffen und das von den Pekingern als Entenei bespöttelte Nationaltheater gegenüber der Regierungszentrale und dem alten Kaiserpalast: eine riesige Kuppel aus Glas und grausilbrigen Titan.
Für den Umbau der Stadt mussten weit über eine Million Pekinger den Baggern und Bulldozern weichen. Seitdem Peking den Zuschlag für die Spiele bekam, kommt es nicht mehr zu Ruhe. Tag und Nacht dröhnen die Betonmischmaschinen und Bohrer, schaufeln hunderttausende Wanderarbeiter Schächte aus, gießen Wände, decken Dächer. Rechtzeitig werden sechs neue U-Bahn-Strecken auf 43 Kilometern, ein Airportexpress und ein neuer Terminal des Londoner Architekten Norman Forster fertig sein, der den Pekinger Flughafen fit für 60 Millionen Passagiere im Jahr machen soll.
31 Stadien werden in der Hauptstadt errichtet oder renoviert. Hinzu kommt eine Rennstrecke für Ruderer und Kanuten. Nicht nur in Peking wird gebaut: Die Küstenstadt Qingdao, einst deutsche Kolonie, hat nun ein modernes Segelzentrum. In der Hafenmetropole Tianjin und in anderen Städten werden die Fußballstadien erneuert.
Die Chinesen lassen sich Olympia viel Geld kosten: Allein das Vogelnest der Schweizer Architekten Herzog und de Meuron soll fast drei Milliarden Euro teuer sein. Neue Kläranlagen, Parks, Baumgürtel und andere "grüne" Vorhaben verschlingen etwa zehn Milliarden Euro. Wie viel Chinas Regierung für das große Projekt insgesamt ausgeben will, lässt sie allerdings im Dunkeln. Chinesische Zeitungen schätzen die Summe auf fast 30 Milliarden Dollar. Nur so viel scheint klar: Es werden sehr teure Spiele - in einem Land, in dem hunderte Millionen Bauern nicht mehr als einen Euro am Tag verdienen. Die Wanderarbeiter, die auf den Pekinger Olympia-Baustellen in Zehnstundenschichten sieben Tage die Woche arbeiten, erhalten dafür pro Tag nicht mehr als fünf Euro, wenn überhaupt.
Kritikern wird schwindelig, wenn sie daran denken, welche Summen die vielen Bauten noch verschlingen könnten, wenn die Flamme verloschen sein wird: "Diese große Investition nur für 15 Tage der olympischen Wettbewerbe könnten sich in eine große Verschwendung von Arbeitskraft, Ressourcen und Geld verwandeln", warnt das Magazin Beijing Review und beschwört die Gefahr einer "nacholympischen Depression". Man müsse von den bitteren Erfahrungen Sydneys und Athens lernen, die nach den Spielen jährlich viele Millionen Euro aufwenden mussten, um ihre Stadien zu erhalten.
Grundsätzliche Kritik am Olympia-Projekt ist für Chinas streng kontrollierte Medien allerdings tabu. So etwas wäre "unpatriotisch", heißt es. Wer sich gegen den Abriss seines Wohnviertels wehrt oder auch nur angemessene Entschädigung verlangt, riskiert Ärger mit den Behörden. Als der für die Vergabe von Grundstücken zuständige Vizebürgermeister der Hauptstadt, Liu Zhihua, im vergangenen Jahr wegen Korruption und Betrugs festgenommen wurde, blieb es ein Geheimnis, welche Olympia-Projekte betroffen waren.
Doch insgesamt freuen sich viele Pekinger auf die Spiele. Sie sind stolz darauf, Gastgeber zu sein. "Wir können endlich einmal zeigen, dass wir etwas Großartiges zustande bringen und nicht mehr so mickrig wie früher sind", sagt die 24-jährige Hochschulabsolventin Zhu Wenjuan. Das ist im Sinn der Regierung, deren Politiker stets von den Fortschritten auf dem Weg zu "ruhmreichen" und "brillanten" Spielen "mit chinesischen Charakteristika" schwärmen.
Wenn Pekings Autofahrer nun im Verkehr der Hauptstadt im Stau stecken, können auf den digitalen Hinweistafeln neue Olympia-Parolen lesen. Per Handy empfangen sie Kurzmeldungen des Olympia-Komitees Bocog mit den neuesten Aufforderungen, sich höflich, gesittet und gastfreundlich zu benehmen. Im Radio laufen "Olympia-Englisch"-Lektionen.
Ein Jahr vor der Eröffnungsfeier präsentiert sich Peking allerdings noch wenig sportlich: Das Klima gleicht einer Waschküche, die Straßen sind mit drei Millionen Wagen verstopft. Damit Sportler und Funktionäre im August 2008 schnell zu den Stadien gelangen und die Luft besser wird, wollen die Behörden dann hunderttausende von Dienstwagen und Privatautos aus dem Verkehr ziehen. Mehrere große Fabriken wurden bereits stillgelegt. Ein Probelauf, bei dem rund eine Million Fahrzeuge Fahrverbot erhalten, soll heute beginnen und zwei Wochen lang andauern.
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