Ole von Beust: Vom Popper zum Regierenden

Einst galt er als Karrierist der Generation Popper, der lieber auf Sylt war als im Ortsverein. Heute ist Ole von Beust Bürgermeister, der allen gezeigt hat, dass er Hamburg regieren kann.

Muss um seine Wiederwahl bangen: Hamburgs Bürgermeister von Beust. Bild: dpa

Hamburg-Billstedt ist nicht Ole von Beusts Revier, seine Stammwähler wohnen woanders. Dennoch, das böse Wort Problemstadtteil mag der Bürgermeister nicht gebrauchen - "das ist mir zu stigmatisierend". Und doch bedeutet diese Adresse im Bewerbungsschreiben für viele Jugendliche bereits das Aus.

1955: Ole von Beust wird in Hamburg als Carl Friedrich Arp Freiherr von Beust geboren. Später nimmt er zusätzlich den Namen Ole an - seine Großmutter hatte ihn "Ole Pupp", alte Puppe, genannt.

1971: Ole von Beust tritt in die CDU ein. Zwei Jahre darauf wird er Assistent der Bürgerschaftsfraktion. 1977 Chef der Jungen Union, 1978 jüngster Abgeordneter der Bürgerschaft, 1993 Fraktionschef, schließlich 2001 Erster Bürgermeister. 2008: Ole von Beust tritt am 24. Februar zur Bürgerschaftswahl an. Seine Chancen stehen nicht optimal. Eine aktuelle dimap-Umfrage prognostiziert der CDU 39 Prozent, der SPD 35 Prozent. Die GAL käme auf 10, die erstmals antretende Linke auf 8 Prozent. Die FDP könnte den Einzug erneut verpassen. Zugleich möchte jeder zweite Hamburger von Beust als Bürgermeister behalten. Der hat angekündigt, sich aus der Politik zurückzuziehen, sollte es nicht für eine zweite Amtszeit reichen.

An diesem Tag besucht der Bürgermeister die Billstedter Hiphop-Akademie, die Initiative soll Jugendliche von der Straße wegbringen, sie zu Profi-Musikern ausbilden. Finanziert wird das ganze aus dem 10-Millionen-Programm "Lebenswerte Stadt", mit dem von Beust in sechs handverlesenen Stadtteilen reparieren will, was seine CDU durch Kürzungen im Bereich soziale Stadtteilentwicklung kaputtgeschlagen hat.

Er braucht jetzt jede Stimme. Am 24. Februar ist Bürgerschaftswahl und von Beust wird die absolute Mehrheit verlieren, so viel scheint sicher. Zum Weiterregieren muss er deshalb mehr als seine Stammwähler hinter sich scharen, auch solche wie die Billstedter.

Die Leute hier sind skeptisch, sie fürchten, dass nach der Wahl kein Geld mehr kommt. Kaum einer hat zwei deutsche Elternteile, und das C in von Beusts Parteinamen steht hier bestenfalls für eine Religion unter vielen. Ein Junge namens Sulayman hält zu Beginn eine kleine Rede, es geht darin auch um Politiker, "die sich nicht um uns kümmern". Dann verhaspelt er sich, weiß nicht mehr weiter. Womöglich, weil dieser Mann vor ihm ihn derart offen anschaut, dass er an seinen eigenen Worten zu zweifeln beginnt.

Ole von Beust ist im akkuraten schwarzen Anzug mit Krawatte in die Hiphop-Akademie gekommen, er schüttelt jedem die Hand und sagt dazu artig: "Ole von Beust, guten Tag." Je höher sein Bekanntheitsgrad ist, desto konsequenter signalisiert er, dass er das nicht für selbstverständlich hält. Im Kellergewölbe sieht er sich geduldig die kreiselnden Breakdancer und sehr entschlossen tuenden Rapper an, nickt zu den schweren Beats sogar anerkennend mit dem Kopf. Es ist diese perfekte Bürgerversteher-Haltung: den Kopf leicht vorgeneigt, Unterlippe vorgeschoben, das rechte Ohr dem Sprechenden zugewandt, Blick zum Boden. Er lauscht. "Er schien mir sehr interessiert", sagt Sulayman später, "ich hoffe, dass er uns unterstützt." Versprochen hat der Bürgermeister nichts. Aber er hat ihm, einem 16-Jährigen, zugehört, der Schulprobleme hat und dessen Bruder mit vier Jahren Knasterfahrung ein Kandidat für Roland Kochs Ausweisungspläne gewesen wäre.

Zu jener Zeit, als in Hessen die Debatte um gewalttätige Jugendliche schrill rassistische Töne annimmt, tagt in einer alten Lagerhalle im Hamburger Hafen die CDU zum Thema "Familien und Sicherheit". Die Veranstaltung soll eine Wahlkampfhilfe der Bundes-CDU für die Hamburger sein, nun aber droht sie ins Gegenteil zu kippen. Ole von Beust kommt an diesem Tag nicht umhin, Kochs Migrantenthema zu erwähnen, dabei ist es Gift für den Kampf um die Mitte in einer liberalen Großstadt wie Hamburg. Deshalb spricht er möglichst allgemein von jugendlichen Gewalttätern. "Ich kann Ihnen sagen: Ich finde so was widerlich." Mehr nicht. Keine Forderung. Stattdessen: "Mir ist völlig egal, welchen Pass diese Leute haben." Mehr als höflichen Applaus erntet er nicht. Und in der aufgeheizten Debatte geht diese für den eher leisen von Beust ziemlich deutliche Distanzierung von Koch unter.

Erst als die Hessen-Wahl verloren ist, lanciert von Beust einen Brandbrief gegen die Instrumentalisierung des Themas Integration in Wahlkämpfen. Für die CDU ist das zu viel: Beust muss öffentlich beteuern, mit Kochs Wahlkampf habe der Brief nichts zu tun. In Hamburg dagegen wird er als Signal nach innen interpretiert - an die Grünen, denen der Bürgermeister immer wieder Avancen für eine mögliche Koalition macht. Aber die zieren sich öffentlich und weisen den Beust-Brief als verspätetes Maulheldentum zurück.

Dabei ist von Beust bei aller innerparteilicher Leisetreterei ein echter Liberaler. Seine ausgeprägte Abneigung gegen Diskriminierungen aller Art basiert darauf, dass seine Mutter jüdischer Herkunft war; Mitglieder ihrer Familie wurden in Theresienstadt ermordet. "Die Frage: Wie konnte es dazu kommen - solche Dinge waren von Kind auf Gesprächsthema bei uns zuhause am Frühstückstisch", sagt ihr Sohn.

Sicher hat ihn auch die Erfahrung geprägt, als schwuler Mann in der CDU eine Bilderbuchkarriere hingelegt zu haben. Von Beust hat es stets vermieden, sein Privatleben zu thematisieren, dennoch ist gerade seine sexuelle Orientierung auf paradoxe Weise zum Auslöser seiner enormen Popularität geworden. Es war im August 2003. Ole von Beust regierte in einer Chaos-Koalition mit der FDP und der Partei des Rechtspopulisten Ronald Schill, dessen Staatsrat er entlassen wollte. Schill drohte von Beust, im Gegenzug öffentlich zu machen, dass der Bürgermeister schwul sei und ein Verhältnis mit einem Studienfreund, Justizsenator Roger Kusch, habe. Von Beust warf Schill aus seinem Büro, anschließend aus dem Senat. Und die Hamburger atmeten auf. Sie waren ihres als "Richter Gnadenlos" berühmt gewordenen Innensenators überdrüssig. Sein Outing überließ Ole von Beust seinem Vater Achim Helge, selbst CDU-Politiker. Plötzlich stand der Sohn als Retter der Demokratie da, der unter hohem persönlichem Risiko die Würde des Rathauses wiederhergestellt hatte. Bei der folgenden Neuwahl - Motto: "Alster, Michel, Ole" - holte die CDU im einst roten Hamburg die absolute Mehrheit.

Im Wahlkampf wurde für die Plakate ein "sympathisches, naturblondes Porträt gewählt", ätzt sein heutiger Herausforderer Michael Naumann von der SPD. Es ist eine Anspielung auf die Zeit vor 15 Jahren, als der junge Fraktionsvorsitzende von Beust als Sonnyboy galt, als Karrierist der Generation Popper, der lieber auf Sylt war als im Ortsverein. Noch heute versuchen politische Gegner, daraus Kapital zu schlagen. Sein Vorvorgänger Henning Voscherau etwa monierte einmal mit strenger Miene, er sehe abends zu selten Licht im Bürgermeisterbüro.

Diesmal präsentiert die CDU ihren Kandidaten eher silbergrau als blond. Die Plakate zeigen den Amtsinhaber bei dem, was er am besten kann - regieren. Auf den Schwarzweißfotos sieht man Ole von Beust herausfordernd grinsend, über Papiere gebeugt, gedrückt von der Last der Verantwortung, routiniert applaudierend oder geradezu lasziv in die Welt hinausträumend. Darunter stehen simple Slogans: "In guten Händen." Oder "Hamburg im Herzen." Punkt. Und das Logo der CDU. Kein Name. Jeder in Hamburg sollte wissen, dass er Ole von Beust heißt. Diese Marke ist fest etabliert.

Dass es ebenjener Ole von Beust war, der vor Jahren den kruden Rechtsausleger Schill salonfähig gemacht hat, spielt nicht nur keine Rolle mehr, sondern scheint aus dem kollektiven Gedächtnis der Hamburger getilgt. Das Wort vom Teflon-Bürgermeister, an dem nichts hängen bleibt, machte schon kurz nach seiner Wiederwahl die Runde. Schließlich war von Beust 2001 mit dem zweitschlechtesten Wahlergebnis der Hamburger CDU, einem guten Viertel der Stimmen, Bürgermeister geworden - dank Schill. Heute räumt der Bürgermeister glatt ein, Schill mit Koalitionsavancen schon vor der Wahl stark gemacht zu haben. "Der Wunsch, nach 44 Jahren einen Wechsel herbeizuführen, war sehr stark", erinnert er sich. "Zwar nicht koste es, was es wolle "

Beust ist vielleicht kein Polit-Hasardeur, aber ein Pragmatiker der Macht mit ausgeprägtem Gespür für die Grenzen des Machbaren. Zu der Mesalliance mit den dumpfen Rechten gehörte auch eine gehörige Portion Chuzpe. Und Naivität. Seine Menschenkenntnis hat von Beust zumindest gelegentlich verlassen, wenn man seiner Version der Geschichte Glauben schenkt. "Ich habe die Schwierigkeiten eigentlich eher bei Schills bunter Truppe gesehen als bei ihm selber", sagt er. "Dass er so durchknallt, hätte ich nicht erwartet."

Und sein alter Weggefährte Roger Kusch, der jetzt mit seiner neuen Partei Rechte Mitte HeimatHamburg gegen die "sozialdemokratisierte" CDU von Merkel und von Beust kämpft? Augenrollen. "Vielleicht neigt man bei Menschen, die man lange persönlich kennt, dazu, Probleme nicht wahrhaben zu wollen", sagt der Bürgermeister. "Ich habe daraus gelernt, dass ich nicht wieder so schnell persönliche Freunde in die Verantwortung holen würde, weil man da selbst einfach ein schlechter Bewerter ist."

Mancher interpretiert die Schill-Episode allerdings auch als taktisches Meisterstück, das mit einem kalkulierten Bruch sein planmäßiges Ende fand - und am Ende die chronische 30-Prozent-Partei CDU an der Elbe regierungsfähig gemacht hat. Ob Berechnung oder nicht, die Partei ist von Beust dafür zu ewigem Dank verpflichtet. Der weiß das und hat den ehemaligen Altherrenverein rücksichtslos auf modern getrimmt. Hat ihm Westdeutschlands beste Kinderbetreuung ebenso abgehandelt wie die Heroinabgabe auf Rezept, und als erstes Land wirft der Stadtstaat gerade das dreigliedrige Schulsystem auf den Müll. Er könnte seinen Parteifreunden jetzt alles andrehen - selbst eine Koalition mit den Grünen. Sie würden es schlucken.

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