„Older Wiser Lesbians“: Nachtbaden mit Eulen
O.W.L.s sind zum geflügelten Wort in der queeren Community geworden. Das ist nur logisch, denn Eulen sind schöne, kluge und sogar schwimmfähige Wesen.
D ie Eule ist jener Vogel der Nacht, der den Kopf ganz weit nach hinten drehen kann, um alles genau zu beobachten. Kein Wunder dass sie queeres, lesbisches Wissen symbolisiert.
Dass die „Older Wiser Lesbians“, kurz O.W.L.s, zum geflügelten Wort in der queeren Community geworden sind, ist nur folgerichtig. Im Vergleich zur Junghaltungsindustrie im heteronormativen Spätkapitalismus verlaufen in sapphischen Konstellationen die Codes des Begehrens entlang der Achse Alter in die umgekehrte Richtung. Je mehr Lebenserfahrung dem Gesicht einer Person abzulesen ist, desto attraktiver macht es sie.
Und damit meine ich nicht nur Hotness, sondern vor allem die Achtung, die wir den Generationen vor uns entgegenbringen. Achtung, für all das, was sie politisch erstritten haben. Für jede Verhaftung, die sie riskiert haben. Für jeden Job, aus dem sie gefeuert wurden. Für jedes Kind, für das ihnen das Sorgerecht entzogen wurde. Für jeden an Aids erkrankten Weggefährten, für dessen Recht auf medizinische Versorgung sie gekämpft haben. Für all die queeren Teenager, denen sie ein neues Zuhause geschaffen haben.
O.W.L.s haben wir eine Neuordnung in Fragen der Repräsentation in Medien und Kunst zu verdanken. Erinnern wir uns nur an die Interventionen, mit denen die Guerrilla Girls bis heute die klaffenden Gender Gaps und rassistischen Ressentiments in Museen aufzeigen. Oder den „Bechdel-Test“, der nach der Challenge der Comiczeichnerin Alison Bechdel benannt ist, Filme zu finden, in denen weibliche Figuren nicht hauptsächlich über männliche Figuren sprechen.
Aufgeplustert und fluffy
Seitdem ich der Spur der namensgebenden Tiere, die sich aus dem Akronym O.W.L.s so schmeichelnd ergibt, gefolgt bin, habe ich immer mehr über Eulen gelernt. Zum Beispiel, dass sie Wasser mögen, um sich zu putzen. Eulen baden nämlich gerne in kleinen Pfützen oder Tümpeln. Wenn sie bei Menschen wohnen, auch schon mal in einem Napf. Einige Eulen nehmen auch gerne Schneebäder, um ihr Gefieder zu reinigen. Ist ja schließlich auch Wasser. An Flussläufen waten Eulen ins Wasser und prusten den Schmutz weg. Nach dem Baden schütteln sie ausgiebig die Flügel. Sie sehen dann für einen Moment ganz aufgeplustert und fluffy aus.
Was mich kürzlich so richtig umgehauen hat, war ein Video von einer Eule, die durch einen Canyon schwimmt. Und zwar nicht mit den Füßen wie eine Ente mit Schwimmhaut an den Zehen, sondern weit ausholend mit ausgebreiteten Flügeln. Sie sei wahrscheinlich in Not, stand unter dem Video, und könne erst wieder losfliegen, wenn sie an Land sei und das Wasser wieder aus ihrem Gefieder schütteln könne. Dabei sah sie gar nicht gehetzt aus, sondern fast schon tiefenentspannt, wie sie in aller Ruhe mit dem nächsten Flügelschlag die nächste Bahn zog.
Ich versuche das auch jeden Tag zu lernen, den reaktionären Quatsch an mir vorbeiziehen zu lassen und mir vorzustellen, er fließe rechts und links wie von einer Flussströmung getragen an mir vorbei. Das ist nicht einfach, denn wie es die Queertheoretikerin Sara Ahmed einmal formuliert hat, sind Emotionen, die von außen immer wieder an uns gerichtet werden, „sticky“, also so richtig klebrig wie ein ätzender Kaugummi.
Da hilft vielleicht noch ein zweites Bild, das „Gewölle“ nämlich, das Eulen aus ihrem Hals würgen und über das sie all das ausspucken, was unverdaulich ist. Dort ragen dann Knochenreste und Plastikmüll heraus.
Wer weiß, welche Fähigkeiten wir freisetzten würden, wenn wir all die negative Anrufungen, die kein Mensch braucht, einfach wieder auskotzen könnten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?