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Oldenburg überwacht seine InnenstadtAufruf zur "öffentlichen Demontage"

Die Oldenburger Polizei installiert Kameras in der City, weil "Menschenmassen die Begehung von Straftaten begünstigen". Die Gegner wollen die Kameras wieder abbauen.

Flex an, Kamera ab: So der Aufruf des Flugblatts gegen die Überwachung. Bild: taz

OLDENBURG taz | "Film ab" wird es dieser Tage erstmals in Oldenburg heißen, und manch einer kann es kaum erwarten. Nein, die Rede ist nicht von der heute Abend in der ARD zu sehenden Schmonzette "Schlaflos in Oldenburg", die vor Jahren in der Stadt gedreht wurde. Sondern von zwei Kameras, die demnächst auf Sendung gehen werden, was nicht jeden erfreut. Regie führt die Oldenburger Polizei, abgefilmt wird der Bereich rund um das städtische Wahrzeichen Lappan.

Das backsteinerne Türmchen steht inmitten des Fußgängerzonentrubels der Langen Straße und grenzt an die größte Bushaltestelle der Stadt. Ein Verkehrsknotenpunkt, den die Polizei schon länger im Auge hat, weil sich dort des Nachts diverse Schlägereien ereignen. Für 2009 weist die Statistik 30 Fälle gefährlicher Körperverletzung auf - ein Drittel aller Delikte dieser Art in der Innenstadt -, im Vergleich zu 2008 eine Steigerung ums Doppelte.

Eben deshalb hat die Oldenburger Polizei diesen Ort als Austragungsort der von Innenminister Uwe Schünemann (CDU) qua Polizeigesetz verordneten Abfilmung des öffentlichen Raumes vorgeschlagen. Der Stadtrat hatte sich auf Initiative der Grünen vor zwei Jahren gegen Videoüberwachung ausgesprochen, nur die CDU hatte gegen die Resolution gestimmt.

Schünemann aber können solche Voten egal sein, er sitzt am längeren Hebel. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage zweier grüner Landtagsabgeordneter begründete er den Einsatz von Überwachungskameras mit der öffentlichen Sicherheit, der Gefahrenabwehr und dem Schutz von Freiheit und Eigentum.

Die am Lappan "vor allem zu den Hauptverkehrszeiten anzutreffenden großen Menschenmassen begünstigen die Begehung von Straftaten, da sie Anonymität, Tatgelegenheiten und Fluchtmöglichkeiten schaffen", schrieb Schünemann. Schöner kann man Misstrauen gegenüber menschlichem Dasein in der Stadt nicht ausdrücken.

120.000 Euro wurden in die Kameraausrüstung investiert, dieser Tage soll sie in den Testbetrieb gehen - nach fünfjähriger Diskussion, an deren Anfang im Rahmen einer "Sicherheitspartnerschaft" zwischen Stadt und Polizei zunächst noch die Stadt die Kameras finanzieren sollte. Nun trägt das Land die Kosten.

Die Oldenburger Polizeiinspektion sieht die Videoüberwachung als Teil eines ganzen Bündels von Maßnahmen, wie Inspektionsleiter Johann Kühme sagt. Erhöhte Präsenz, eine frühmorgendliche Sperrstunde (die taz berichtete) und Platzverweise haben allerdings bislang nicht das erwünschte Resultat erbracht, weshalb nun die Hoffnung auf den Kameras ruht, für deren Einsatz Kühme Unterstützung bei zwei Drittel der Oldenburger sieht. Das hat eine von Stadtverwaltung, Polizei und Präventionsrat beauftragte Umfrage ergeben.

Machen die Gegner ernst, könnten die Kameras schon bald einen hübschen Film drehen: Flugblätter kursieren, auf denen zur "Öffentlichen Demontage der Überwachungskameras" aufgerufen wird - mittels Hammer, Flex und Kneifzange. Schlagen die Demonteure im richtigen Moment zu, droht ihnen keine unmittelbare Gefahr. Denn Kühme bekennt, dass nicht ständig ein Beamter vor dem Monitor sitzen werde, der die Bilder vom Lappan zeigt. Dennoch, glaubt er, werde ihre schiere Präsenz abschreckende Wirkung haben.

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29 Kommentare

 / 
  • AW
    Anna W.

    Wenn es in Ingolstadt solche Kammeras gäbe würde ich meine Geldbörse vielleicht wieder bekommen.

     

    Tja erstmal nachdenken bevor man solche Maßnahmen verurteilt. Die meisten die schon einmal bestohlen wurden werden mir wohl zustimmen.

  • R
    Ralle

    @ elPuro - vielen Dank! Jetzt kann ich nicht mehr schlafen. - Wer weiss, was ich im Schlaf für seltsame Verhaltensweisen zeige, die von einer unbemannten Drohne mit Wärmebildkamera aufgefangen werden....

    Haben Sie schon die Tablette probiert?

  • I
    Icke

    Großräumige Kontrolle durch verstärkte Überwachung begünstigt auch die Begehung von Straftaten... Korruption, Amtsmissbrauch... all son Spaß.

  • O
    oliver

    schon komisch... alle reden hier davon, dass das nichts bringt und keine Straftaten verhindert.

    Das gilt ggf in erster Instanz.

    Eine Gewalttat wird nicht gestoppt, aber der Täöter ermittelt, und die Zeit die der Knilch dann im Gefängnis sitzt sind die anderen Bürger sicher. So einfach ist das.

    und wenn ihr mal rechnen könntet, dann wüsstet ihr, dass ein Schupo teurer kommt, vielleicht nicht im ersten Jahr, aber spätestens nach 3 Jahren hat sich das gerechnet.

  • I
    Irrelevant

    Zitat: "Menschenmassen die Begehung von Straftaten begünstigen"

     

    Leicht umformuliert könnte man so auch die Überwachung privater Wohnungen legitimieren: "Privaträume die Planung und Begehung von Straftaten begünstigen"

  • E
    elPuro

    Die Überwachung wird erst dann ihre volle "Wirkung" entfalten, wenn inteligente algorithmen einer höheren Programmiersprache (z.B. Java), die Bilder währed der Aufnahme analysieren. Ich habe momentan leider keinen link, aber in England laufen bereits Testläufe mit dem Analysieren von Verhaltensweisen von Selbstmördern. Wenn das Programm eine gewisse Verhaltensweise erkennt, wird die betreffende Person vorsichtshalber in Gewahrsam genommen. Die Rechenleistung der Server reicht heute leider noch nicht für ganz London aus.....

     

    "Minority Report" von Steven Spielberg hat ein ähnliches Szenario beschrieben. Ich werde es etv. noch erleben.....

  • FN
    Fritz Noss

    Kriminalität kann durch totale Kontrolle nicht verhindert werden!

     

    Lediglich einige Täter werden viellicht gefaßt werden können. Opfer wird des dennoch geben!

     

    Siehe Kommentare zu vor: Wenn die Worte fehlen, das Hirn aussetzt und unsere animalischen Triebe unser Verhalten übernehmen, wird eben "geprügelt" etc.

     

    Ergo: Kameras weg! Schränken unsere Freiheit ein!

     

    Eher sollte ALLE Bürger Zivilcourage und Mumm haben, Schwächeren zu helfen oder zumindest Situationen zu deeskalieren!

  • C
    claudia

    >>Zwei Schupos auf Streife haben da mehr Wirkung!

  • UF
    Uwe Fessler

    In Zukunft bekommt jeder einen Film, wenn er zusammengeschlagen wird. Die Straftat und das Leid werden dadurch nicht verhindert.

  • HS
    Herrn Schmilz

    "Niemand hat vor eine Mauer..." ... ach, das ist ja Geschichte.

     

    Solch öffentliche Kameras sind da eher Sozialkunde.

     

    Und nicht nur in England hat sich immer wieder gezeigt dass soziale Verrohung und mangelnder Gesellschaftlicher Zusammenhalt davon nicht weggehen, wenn sie filmisch festgehalten werden.

     

    Was spricht eigentlich gegen ein paar gutausgebildete, freundliche Polizisten mehr, die Präsenz zeigen als "persönlich ansprechbarer Staat" im Gegensatz zu dieser Big Brother-Masche der dauernden Filmerei, die zwar vielleicht schockierende Bilder für die sensationsgeilen Boulevardredaktionen der Billigsender liefern kann, aber nie was zu verhindern in der Lage war und ist?

  • H
    hellchen

    Das Problem bei der Ueberwachung mit Kameras ist eben genau dass eine Kamera keine Praesenz hat. Ganz einfaches Beispiel: Ich geh als Fussgaenger nicht um 4 Uhr Morgens bei Rot ueber die Ampel wenn an der Ampel als einziges Auto eine Polizeistreife steht, bei einer Kamera waer mir das voellig egal, selbst wenn ich sie bemerke.

    Ueberwachung des oeffentlichen Raumes halte ich fuer durchaus wichtig, aber bitte durch Menschen die sofort eingreifen koennen und allein schon durch ihre Anwesenheit eine abschreckende Wirkung haben. Funktioniert in manchen Staedten tatsaechlich ganz gut.

  • A
    aha

    @Jens:

     

    "Ich finde, dass die Überwachung des öffentlichen Raumes grundsätzlich eine gute Idee ist und ..."

     

    Naja, nicht schlecht getrollt für den Anfang. Falls nicht: Seit vielen langen Jahren versucht die Menschheit, menschliche Probleme mit Hilfe von Technik zu begegnen, mit notorisch negativem Ergebnis.

    In diesem Beispiel wird keine einzige Straftat verhindert werden, Erfahrungen aus dem hoch überwachten England sind längst offiziell: es bringt nüscht.

     

    Die Schäden am gegenseitigen gesellschaftlichen Vertrauen sind jedoch fatal.

     

    Falls du das nicht glauben möchtest, melde dich doch mal bei mir, ich biete dir an, eine Maschine (Implantat oder sowas) zu bauen, mit der du dich immer gut benehmen wirst. Wird bestimmt lustig.

  • KK
    Karl Kraus

    Ach ja, die böse Stasi. Ach nein, das ist ja hier! Aber gut: Auch vor der Stasi hatte ja der brave Bürger nichts zu verbergen. Und wir sind darüber hinaus ja auch die Guten...

  • H
    Horst

    Na wenn die Mehrheit der CDU-Politiker für Überwachung ist,

    dann haben die sicher nichts dagegen, ordentlich rundum-überwacht zu werden.

     

    .. fände ich spannend.

  • WB
    wo bleibt mein Kommentar?

    Demontiert gleich alle Solaranlagen und Windräder mit!

    Ein Dankbarer Bürger!

  • O
    Oldenburger

    Für so einen Scheiß werden 120.000,- € zum Fenster raus geschmissen, obwohl die Stadt kein Geld hat und am Sozialen spart wo es geht. Zwei Schupos auf Streife haben da mehr Wirkung!

  • J
    Josch

    Gewaltdelikte wie Schlägereien sind Affekthandlungen und werden niemals durch "abschreckende" Videoüberwachung verhindert.

  • TF
    the fnord

    Sowas in meiner Heimatstadt! Ich muss mich ja glatt dafür schämen... Hoffentlich setzt jemand die Kameras so schnell wie möglich außer Betrieb. Ich wäre sehr dankbar dafür.

  • 2
    2012

    Gut so! Um nicht zu sagen vorbildlich!

  • F
    Flo

    Und wer sind die Gegner? Es gibt ja scheinbar keinen einzigen externen Link.

  • K
    Konrad

    mit den öffentlichen Überwachungskameras werden jährlich tausende Diebstähle, Fälle von sinnlosem Vandalismus an U- und S-Bahnen und vor allem brutale Gewalttaten und Schlägereien aufgeklärt. Eine Demontage dieser Kameras wäre ein Freibrief für Schläger, Vandalen und sonstige Menschen mit Problemen. Als unauffälliger Passant werde ich einfach anonym aufgenommen. Solange man keine Straftat begeht ist es doch völlig egal ob man irgendwo auf einem Band aufgezeichnet wurde, während man in der U-Bahn sitzt...

  • JJ
    Jazzy Jeff

    ja wie.....? die Videodaten werden doch sicherlich aufgezeichnet, oder nicht? Es muss also nicht ständig ein Polizist vor dem Monitor sitzen, um Straftaten aufzudecken. Dann könnte man ihn ja genauso gut auf den Platz direkt stellen...

  • K
    K.O.

    Diese ständig weiter ausufernde Überwachung kann einem schon Angst machen. Auch wenn es faktisch (noch) nicht möglich ist alle Aufnahmen zu kontrollieren. England ist ein abschreckendes Beispiel. Was würde passieren wenn der Staat auf die Idee käme, vor dem Hintergrund der Hartz IV-Schmarotzer-Debatte und dem herrschenden Arbeitsfetischismus über ALLE Parteien hinweg, Arbeitslose vor Monitore zu setzen? Der Film 'Mucksmäuschen Still' spielt diese Idee schonmal halb spassig halb ernst durch. In Deutschland gibt es eine lange Tradition der Denunziation. Wenn man die falschen Menschen an die richtige Stelle setzt wird 1984 nicht mehr weit weg sein. Mich ärgern schon die AushilfpolizistInnen und die 'Ordnungshüter-Pseudo-Polizisten'. Keine Ausbildung aber eine klare Aufgabe: Ordnung aufrecht erhalten! Dabei schlechter bezahlt als die echten PolizistInnen. In Italien werden wieder 'Bürgerwehren' aufgebaut. Das sind doch keine Entwicklungen in EUropa die zur Selbstbeschreibung als freiheitlich viel Anlass geben? Im Zweifel MEHR Sicherheit.

  • J
    Jens

    Ich finde, dass die Überwachung des öffentlichen Raumes grundsätzlich eine gute Idee ist und zur Sicherheit beiträgt. Warum sollte man sich dagegen sperren? Die Verschwörungstheoretiker und Überwachungsfeinde können ja weiterhin Mützen aus Alufolie tragen, damit keiner ihre Gedanken lesen kann.

  • CM
    christian mueller
  • L
    Lenny123

    Alle Studien haben ergeben, dass eine ständige Überwachung von öffentlichen Räumen eben keine abschreckende Wirkung hat, reiner Aktionismus und zudem wieder ein Eingriff in die Bürgerrechte.

     

    Nach der Argumentation der Agitatoren, könne man ja auch jedem Menschen einen Chip einpflanzen lassen, denn der Mensch als solches ist ja der einzige der Straftaten begehen kann und somit potentieller Täter.

     

    Man sollte dort besser regelmässige Streifen fahren lassen, aber dafür ist kein Geld da, dieses muss ja für Diäten, für Kameras und für die Banken ausgegeben werden.

  • S
    Stefan

    Ganz große Klasse!

    Würde unter dem abgebildeten Sabotageaufruf nicht stehen, dass es sich um ein Foto handelte, so könnte man es fast für eine direkte Abbildung des Sabotageaufrufs halten (cyber_flyer_3sp_sw_Kopie.jpg).

    Da sieht man den Unterschied zwischen Journalismus und Kampagne.

  • V
    Veits

    Ich verweise auf meine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde - Beschluss vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06. Ich hatte mich im Wege einer vorbeugenden Unterlassungsklage (VG Regensburg, BayVGH München, BVerfG) im Jahre 2005/2006 erfolgreich gegen die Installierung von Überwachungskameras gewehrt.

     

    Während Klage und Berufung erfolglos blieben, bestätigte mir das Bundesverfassungsgericht, dass der Eingriff durch die Videokamera in meine Freiheitsrechte eingriff.

     

    Bis heute sind die Kameras nicht installiert.

     

    Der nachfolgende LINK führt zur Pressemitteilung des Verfassungsgericht; von dort geht es auch zum vollständigen Text der Entscheidung.

     

    Es gilt der Grundsatz, dass sich der Bürger frei im öffentlichen Raum bewegen darf. Darauf hat einen Anspruch gemäß Art. 1 und 2 des Grundgesetzes.

     

    Die Voraussetzungen, unter denen Kameras installiert werden dürfen (Eingriff), sind eng begrenzt; lesen Sie u.a. bei den Randnummern 36 ff und 51 ff der Entscheidung.

     

     

    Vertiefend http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg07-031.html

     

    Rechtsanwalt Manfred K. Veits, Regensburg

  • M
    manni

    [...Dennoch, glaubt er, werde ihre schiere Präsenz abschreckende Wirkung haben. ...]

     

    Es ist ja nun keine Neuigkeit, dass Videoüberwachung KEINE abschreckende Wirkung hat.

    Hinzu kommt, "dass nicht ständig ein Beamter vor dem Monitor sitzen werde, der die Bilder vom Lappan zeigt."

     

    Ja, wirklich sehr abschreckend....