: Okay, we're happy now
■ Jonathan Richman im Loft
Vor zwölf Jahren wurde die Live-Platte von Jonathan Richman und den Modern Lovers für fünf Mark in Bad Segeberg verramscht. Ein Freund auf dem Dorf legte sie immer auf, wenn wir mit den anderen in seinem Zimmer, in Sesseln und auf dem Bett, rumsaßen, Tee tranken und kifften. Irgendwie muß er eine Meise haben, dachten wir. In den Songs ging es um kleine Dinosaurier, um Honigbienen, um freundliche Insekten, oder den Ice-cream Man. Die Band auf dem Cover sah sehr bunt aus. Damals waren wir noch nicht besonders fit im Merkwürdige-Verbindungen- Ziehen. Später ging das besser.
Jonathan Richman trampte Ende der sechziger Jahre aus übergroßer Begeisterung nach New York, kam irgendwie als glühender Verehrer von Velvet Underground in die »Factory« und ins Gespräch mit Lou Reed und John Cale, der später seine Platten produzieren sollte. In den frühen 70er Jahren war er immer dabei, mit großen Augen, wenn Iggy Pop seine Sado-Maso-Shows abzog. Was bei anderen V.U.-Epigonen jedoch als Jugendstilposing so betont düster und unbedingt daherkommt, verwandelte er in wissende Freundlichkeiten. Bei Jonathan Richman schluckt man keine Tabletten, torkelt nicht durch die Gegend und liegt dann da, schwarz gekleidet und tot mit unbewegtem Gesicht. Statt dessen ist man gerührt, nachdem irgendwelche Selbstschutzmechanismen durchgeknallt sind, von dem Lied, das den mit seiner Suizidgefährdung posierenden Oberschüler nicht zum affigen Helden macht, sondern wie ein schüchtern-freundliches »Hallo« am Krankenbett ist: »When you get out of the hospital/ let me back in your life/ I can't stand that you do/ I'm in love with your eyes.«
Die Tränen schießen dem von Richman zitierten Liebeskranken in die Augen. Im Inneren ist »emptiness«, die sich als schöne ganze Erinnerung dem melancholischen Spaziergänger erschließt. Und dann verändern sich die Farben, dort draußen, im Herbst. Dann ist man wieder fröhlich.
Wer lustig ist, kann von Fake-Gefühlen sprechen. Fake heißt bei Jonathan Richman dann aber nur, daß man selber nicht mehr im Mittelpunkt des erinnerten Geschehens steht. Zunächst sitzt das Gefühl trotzig in der Ecke und ist traurig, daß es nichts zu tun hat. Doch dem »Snob«, den es so egoistisch-verschlossen allein läßt als Mauerblümchen, wird in gütiger Ironie zugeredet.
Jonathan Richman steht ganz allein auf der Bühne, als ewig schöner, netter, sportlicher Junge, mit vielen Löckchen im Haar, breit grinsend, Jeans und Sweatshirt, offenes Herz. Er zieht seine Jeansjacke aus und legt sie hinter sich und greift zur Akustikgitarre und singt a cappella, so daß sich alles vermischen kann. Er versteht es, die Vorteile des Alleinsingens auszunützen; reagiert auf jeden Zwischenruf, ob er ihn in den nächsten Song einbaut, ein Wunschlied singt oder ob er plötzlich ins Spanische überwechselt. Er wackelt mit dem Kopf und wiegt sich in den Hüften. Er singt von den wichtigen Dingen des Lebens, also von Küssen, Strand, Surfen, von seiner Frau: »Cal loves me, o ho hoh, Cal loves me.« Das wird zur Hymne, die sich fortsetzt im Chor der Zuschauer, die mit dem festen Kinderwillen gekommen sind, sich wenigstens einen Abend lang nicht zu amüsieren, sondern glücklich zu sein. Give Paris one more chance.
In Country-songs erzählt er von Greyhound-Bussen und seltsamen Gestalten oder von der Freundin, die weggeritten ist. Wenn er zum klassischen Rock'n'Roll kommt, sieht er tatsächlich so aus wie der junge Paul McCartney. Bei den Hits der guten Kunststudenten — Vincent van Gogh oder Pablo Picasso was never called an asshole — verwandeln sich die zunächst nur gleichgültig wahrgenommenen Gesichter der Zuschauer und geben das Lächeln zurück oder weiter, daß ihnen von der Bühne heruntergereicht wird. Und du gibst es zurück oder weiter. »Affection is the most important thing.«
Den Takt schlägt der Fuß oder klopft die Hand, oder die Zuschauer klatschen, so genau und gut, ohne den faschistisch-tumben Gestus, den ein Mitklatschen sonst und überall hat, als wären das alles Musiker, wie eine Frau, die ein paar Meter weiter im Glück schwankend versinkt.
Seinen letzten Auftritt beendete er mit einer Frage an sich selbst: »Jonathan, before you go, there's one thing, we want to know — What? — When you sing this song affection, are you telling all us here in Berlin, that we're supposed to hug and kiss everyone whether we want it or not? — No, good question, no! — But what are you saying? — If you feel like it — don't be afraid.« Detlef Kuhlbrodt
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