: Ohne Zäune geht es nicht
■ Kindergarten Gleimstraße spürt weiter die Nähe zum Drogenstrich im Viertel
Ohne Zäune geht es nicht
Kindergarten Gleimstraße spürt weiter die Nähe zum Drogenstrich im Viertel
„Wollt Ihr alle hier arbeiten?“ fragt die sommersprossige Knirpsin mit dem langen Pferdeschwanz ungläubig in Richtung der Erwachsenen. Die wiederum können die Kleine guten Gewissens beruhigen, denn das haben sie ganz und gar nicht vor. Es ist nur ein kurzer Besuch, den Irmgard Gaertner (SPD), Senatorin für Jugend, Gesundheit und Soziales, mit der Abteilungsleiterin Kindergärten und dem neuen Leiter des Amtes für Soziale Dienste Mitte-West der Kindertagesstätte Gleimstraße abstatten. Die Senatorin will sich ein Bild machen — von typischen Kitas und von solchen an besonderen Brennpunkten. Der Kindergarten und Hort in der Gleimstraße nimmt dabei eine Sonderstellung ein: wegen seiner Nähe zu Friesenstraße und Ziegenmarkt und weil Junkies und Drogenprostituierte den zur Kita gehörenden Spielplatz als Druckraum und Treffpunkt nutzten.
„Unsere Betroffenheit hat abgenommen“, erklärt Kita-Leiterin Margret Gehlenborg der Senatorin. Der hohe Zaun vor dem überdachten Lieferantenparkplatz zeigt Wirkung, auch die repressive Politik: „Die Geschichte ist äußerst sensibel. Jede Maßnahme führt zu einer Verschiebung des Problems“, betont Frau Gehlenborg. Seit die Baustelle am Steintor wieder aufgehoben wurde, fließe der Freier-Verkehr zum Beispiel wieder am Kindergarten vorbei.
Die täglichen Morgenrunden um's Gelände müßten deshalb auch beibehalten werden. Dafür hatten Eltern und Erzieherinnen zusätzliche Gelder erstritten. Auch der Spielplatzverein, der den Spielplatz mitbenutzt, müsse weiter in die Reinigungsarbeit einbezogen bleiben. Besonders bewährt habe sich, daß die Eltern dieses Vereins reihum einen sehr sorgfältigen Schließdienst für den Spielplatz organisieren.
Anne Grunert, Leiterin einer der beiden Integrationsgruppen, will der Senatorin dann aber doch vermitteln, daß so rosig der Kindergarten-Alltag im Steintorviertel nicht ist: manchmal müßten Junkies vom Gelände gejagt werden, weil sie sich dort eine Spritze setzen wollen. Und eine Mutter ergänzt: Selbst wenn die Kinder das Elend im Viertel ständig sehen — daran gewöhnen könnten sie sich deshalb noch lange nicht. Auch nicht damit umgehen. Viele würden nur auf Umwegen von der Schule zum Hort gehen, andere kämen abgehetzt an, weil sie an den Junkiegrüppchen schnell vorbeirennen.
Margret Gehlenborg betont, daß die Erzieherinnen dem Elend und Schmutz dieser Szene, den oft wie tot herumhängenden Süchtigen, im Kindergarten auch einiges entgegenzusetzen versuchen: besonders schöne Räume, Blumen auf dem Mittagstisch, eine hohe Erlebnisintensität im Freizeitprogramm.
Doch dazu fehlen die Mittel: mit 20 Pfennig pro Kind und Tag liege der Sachmitteletat derzeit noch unter dem von 1975. Selbst für ein gemeinsames Frühstück müßten die Eltern zusätzlich ins Portemonnaie greifen. ra
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