: Ohne Gericht geht nichts
Was würden wir nur ohne die Gerichte machen? Wenn sie uns nicht immer wieder sagen würden, was richtig und was falsch ist, wer wäre da schon in der Lage, sein Leben in den Griff zu kriegen? Wer würde denn zum Beispiel von alleine darauf kommen, daß fabrikneue Autos nicht dröhnen dürfen, wenn das Kölner Oberlandesgericht es uns nicht gesagt hätte? Solche Geräusche nämlich, die als Vibrationen auf der Beifahrerseite, am Boden oder in der Stirnwand des Wagens spürbar sind, seien nicht akzeptabel und stellten einen Sachmangel dar, entschieden die Richter des 19. Zivilsenats.
Mit dem Rinderschießen auf offener Weide befaßte sich das baden- württembergische Verwaltungsgericht. Es bestätigte in letzter Instanz die Weigerung der Stadt Balingen, einem Mann zu erlauben, einen Bullen auf der Weide zu erschießen. Die Fleischhygieneverordnung schreibe vor, daß der gesamte Schlachtvorgang in geschlossenen und besonders ausgestatteten Räumen erfolgen müsse, argumentierten die Richter. Keine Behörde dürfe deshalb die Einleitung der Schlachtung im Freien zulassen.
Dabei hatte es der Kläger nur gut gemeint. Er sagte aus, da das betreffende Tier das ganze Jahr über im Freien gehalten werde, könne es nicht „ohne massive Tierquälerei“ lebend eingefangen werden. Die Qualität des Fleisches müsse darunter leiden, da die Freilandrinder beim Transport in den Schlachthof vermehrt Streßhormone produzieren würden. Nichts zu machen, sagten die Richter, kein schneller Tod für den Bullen.
Wenn es im Gericht um das Gericht selbst geht, verstehen die Schwarzroben natürlich keinen Spaß. So tadelten die Richter des Koblenzer Oberlandesgerichts in einem am Montag veröffentlichten Beschluß eine Mutter, sie sei mit der gesetzlichen Zeugenpflicht ihres minderjährigen Sohnes allzu leichtfertig umgegangen. Die besorgte Frau hatte für ihr Kind keine Befreiung vom Unterricht beantragt, da sie um die Versetzung von Sohnemann fürchtete. So konnte der Junge trotz gerichtlicher Ladung in einer Strafsache nicht als Zeuge erscheinen. Schlimme Sache, fanden die Richter. Sie entschieden: die gesetzliche Zeugenpflicht geht der ebenfalls gesetzlich begründeten Schulpflicht eines Minderjährigen vor. Dies gilt auch, wenn die Versetzung eines Schülers gefährdet ist. Ist doch logisch. Wir sind schließlich in Deutschland. Hier kommt Gehorsam gegenüber der Obrigkeit selbstverständlich vor Bildung. Karl Wegmann
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