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Ohne Basis läuft gar nichts-betr.: "Krise drängt IGM in die Defensive" von Martin Kempe, taz vom 15.10.92

betr.: „Krise drängt IGM in die Defensive“ von Martin Kempe, taz vom 15.10.92

In seinem Bericht beschreibt Kempe die markanten Schwächen der IG Metall sehr richtig: Die Zusammensetzung der Mitgliedschaft entspreche nicht mehr den veränderten Beschäftigungsstrukturen, Angestellte, Frauen, Techniker und kaufmännische Bereiche wären kaum bereit, sich zu organisieren, die engagierte Basis in der Gewerkschaft sei dünner geworden, die Zahl der Betriebe, in denen Vertrauensleute gewählt würden, sei zurückgegangen usw.

Sicher ist es berechtigt, auf die veränderten Beschäftigungsstrukturen zu verweisen, aber es gibt auch Beispiele, die zeigen, daß bei einer intensiven und konsequenten Gewerkschaftsarbeit im Betrieb diese Strukturen nicht mehr diese große Rolle spielen. Die Betriebsräte sind, und das liegt daran, wie sie konstruiert und verrechtlicht sind, mehr und mehr zu bürokratischen Gremien geworden, in denen die Macher sich mit ihrer vermeintlichen Kompetenz brüsten, die darin besteht, daß sie möglichst alle Paragraphen auswendig kennen, den entsprechenden Jargon beherrschen und sich als Beamte dünken, die lebenslang mit ihrem Posten verbunden sind.

Auf der anderen Seite, und das weiß Kempe doch auch, aber er schreibt es nicht, hat die Gewerkschaftsführung und ihr Apparat jede selbständige Regung der aktiven Basis, insbesondere der Vertrauensleute kaputtgemacht. Betriebsräte, die ihre Ruhe haben wollten und Sekretäre sowie Bevollmächtigte in den Verwaltungsstellen, die immer schon besser wußten, was gut und richtig war, haben dabei fleißig mitgeholfen. Die Vertrauensleutebewegung, die Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre ihre Höhepunkte hatte und zum ersten Mal ein wirklich demokratisches Moment in die Gewerkschaften brachte, die ja niemals wirklich demokratisch waren, sondern die auf westliche Verhältnisse zugeschnittene Variante des „demokratischen Zentralismus“ pflegten, diese Vertrauensleutebewegung wurde mit Ausschlüssen, Kaltstellungen und repressiven Maßnahmen während der Mitte der siebziger Jahre erledigt.

Und in dieser Geschichte liegen die tieferen Gründe dafür, daß die aktive Basis so dünn geworden ist und daß in vielen Betrieben keine Vertrauensleute gewählt werden beziehungsweise nur auf dem Papier existieren. [...]

War es nicht merkwürdig, daß die Träger der Gewerkschaft in den Betrieben in der Satzung ihrer Gewerkschaft überhaupt nicht auftauchten, sondern nur in vom Vorstand erlassenen Richtlinien? Richtlinien, die nicht mehr als Vorstandsverordnungen waren. Absicht und Verständnis des Vorstands war: Die Vertrauensleute sollten wohl die Meinung der Führung unter den Leuten vertreten, nie aber die Meinung der Leute in den gewerkschaftlichen Gremien. Weder vertreten geschweige denn durchzusetzen versuchen. Die Angst vor jeder selbständigen Regung der Basis, das war die ganze Wissenschaft.

Es ist verständlich, daß aufgrund solcher Tatsachen, und die Zeit und die sich verändernden Umstände taten ihr übriges, die Neigung, in der Gewerkschaft sich zu engagieren, stark abgenommen hat und sich dies auch durch Worthülsen von einer „neuen Streitkultur“ und sporadisch unternommenen Bemühungen, die Vertrauensleute, weil man sie braucht, wiederzubeleben, nicht ändern lassen wird. Weder Vertrauensleutekonferenz noch die Entwicklung von „Eckpunkten gewerkschaftlicher Betriebspolitik für die neunziger Jahre“ werden daran etwas ändern. Bleibt der Status der Vertrauensleute, wie er ist, und ändert sich im Ganzen bei Betriebsräten und im Apparat nichts Entscheidendes, und das ist schwierig, da wir wissen, wie hartnäckig sich eingefahrene Verhaltensweisen halten können und sich darum auch nur langfristig ändern lassen, dann besteht wenig Hoffnung, daß die Gewerkschaften ihren Aufgaben der Zukunft gerecht werden können. Denn eines steht fest, ohne Basis läuft, Tradition hin, Moderne her, gar nichts. [...] Klaus W. Kowol, Gummersbach

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