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Archiv-Artikel

Oh, was für ein Zirkus

Das Andrew Lloyd Webber-Musical „Evita“ läuft jetzt im Musical-Theater Bremen. Die Chance: sich vom kulturellen Konstrukt nicht am Achterbahnfahren hindern lassen

In unserer postmodernen Welt, in der die Grenze zwischen Hoch- und Popkultur als kulturelles Konstrukt entlarvt wurde, hört man immer wieder die Forderung, verschiedene kulturelle Erzeugnisse nach den Maßstäben ihrer jeweils eigenen Gattung zu bewerten. Das hat durchaus seinen Sinn: Unter anderem entspannt es die Diskussion zunächst einmal gehörig.

Also: Musical-Fans werden die Inszenierung von Christian von Götz vermutlich lieben. Es geht rasant, bunt und knallig zur Sache. Die Musik wechselt im Minutentakt von höchster Opern-Dramatik zu entspanntem Midtempo-Pop; ebenso schnell wechselt das Ensemble seine opulenten Kostüme, wandelt sich das aufwändige Bühnenbild und das an ein Rockkonzert erinnernde Lichtdesign. Am Ende fühlt man sich ein wenig, als hätte man in einer Achterbahn gesessen und sei gleichzeitig von ihr überfahren worden.

Das soll wohl so sein: Nach den Maßstäben der Gattung „Musical“ ist diese Inszenierung also rundum als gelungen zu bezeichnen.

Da stört es auch kaum, dass das Ende etwas abrupt kommt und Evita ratzfatz in die Kiste springt. Wer den Kinofilm mit Madonna in der Hauptrolle gesehen hat, wird diese Abkürzung begrüßen, denn im Film wird so langsam und ausführlich gestorben, dass es wirklich nicht mehr lustig ist.

Hinter der Inszenierung steckt geballte Erfahrung, sei es in den Reihen der Schauspieler, im Bereich der Regie, der Choreographie, der musikalischen Leitung, des Kostüm- und Bühnenbilds. Die Produzenten von „meinecke events“ sind bei der Auswahl der ausführenden Personen auf Nummer sicher gegangen und haben bewährte Leute eingekauft. Anna Maria Kaufmann, die derzeit wohl bekannteste Musicaldarstellerin Deutschlands und Nationalhymnen-Interpretin vor zahlreichen großen Spielen der Fußball-Nationalmannschaft, spielt Evita. Dass eine argentinische Diktatorengattin deutsch mit starkem kanadischen Akzent singt, wirkt nur ganz kurz befremdlich, denn mit Realismus hat weder die Gattung noch das Stück etwas am Hut.

Bestes Beipiel hierfür ist Che Guevara (die zweite Hauptrolle, souverän und mitreißend gespielt von Ethan Freeman), der in Wahrheit Eva Perón, geb. Duarte, nie getroffen hat.

Die Rechnung der Macher ist, anders als bei Jekyll & Hyde, schon jetzt aufgegangen. 40 Vorstellungen, fast täglich direkt hintereinander weg. 40.000 Karten sind jetzt schon verkauft, das dürfte „Evita“ an fast allen Terminen eine gut gefüllte Hütte bescheren.

Und was macht man, wenn man kein Fan der Gattung ist? Unser Vorschlag: Sie schauen sich das mal an. Sie werden sich doch nicht von einem kulturellen Konstrukt vom Achterbahnfahren abhalten lassen, oder?

Tim Ingold

Bis 31. Dezember. Tickets unter (0421) 35 36 37.