Offener Tisch Keiner kommt. Oder es sind Horden. Was passiert,wenn man in der Zeitung zu einem kostenlosen Abendessen einlädt: Ratlos beim Metzger
Von Philipp Maußhardt
Auf der Schwäbischen Alb wurde Hochzeit gefeiert. Es war lange vor Facebook und sogar noch vor dem Handy. „Alle sind zur Hochzeit herzlich eingeladen“, hieß es in der Lokalzeitung. Wir Jungs aus der Kreisstadt hatten an diesem Samstagabend noch nichts vor. Und so fuhren wir mit unseren Mopeds hinauf auf die Alb, zur Festhalle, nahmen den Helm ab, schüttelten unsere langen Haare aus und sagten: „Grüß Gott, hier soll ein Fest sein. Wir sind eingeladen.“ Man wies uns einen Tisch in der hinteren Ecke zu, wir tranken ein wenig, aßen ein wenig und gingen wohl gerade noch rechtzeitig, ehe der mentale Gegensatz von Alb und Stadt sich körperlichen Ausdruck suchte.
Ich weiß nicht, ob ich heute noch den Mut hätte, an einer fremden Türe zu klingeln und zu sagen: „Ich habe gehört, hier gibt es was zu essen.“ Dabei sollte man das viel öfter machen, anstatt sich immer mit denselben Leuten an den Tisch zu setzen. Ich machte den Versuch und lud für einen Sonntagabend öffentlich in der taz zu einem Abendessen ein, ohne Voranmeldung. In Berlin hätte ich das nicht gemacht. Aber in der schwäbischen Provinz, so dachte ich, sind die taz-Leser eine durchaus überschaubare Masse. Mal sehen, wer sich an jenem Sonntagabend trauen wird.
Für das Bœ uf:
2 kg mageres Biorindfleisch
1 kg Zwiebeln
500 g Karotten
1 Tube Tomatenmark
2 Liter Trollinger
Salz, Pfeffer, Lorbeerblätter, Wacholderbeeren, Garam Masala, WürzlFür die Mohnspätzle:
2 kg Dinkelmehl
20 Eier
400 g ungesüßter Blaumohn
Salz, WasserFleisch in Würfel, Zwiebeln und Karotten klein schneiden. Fleisch im Bräter scharf anbraten, herausnehmen, Gemüse in Butterschmalz ebenfalls scharf anbraten, Tomatenmark zufügen und rösten, bis es dunkelbraun wird. Mit etwas Trollinger ablöschen, noch mal anschmoren, dabei den Bodensatz abkratzen. Schließlich gesamten Wein und Gewürze beigeben, ebenso das Fleisch und bei kleiner Hitze drei Stunden schmoren lassen. Für die Spätzle Mehl mit Mohn, Salz, Eiern und etwas Wasser zu einem festen Teig verrühren. Mit einer Kartoffel- oder Spätzlepresse den Teig in kochendes Wasser drücken, kurz aufkochen lassen und mit einem Sieb abschöpfen. Wiederholen, bis der gesamte Teig verarbeitet ist. Die fertigen Spätzle mit etwas Öl in eine flache Wanne geben und abkühlen lassen. Kurz vor dem Servieren die Spätzle mit Butter leicht anbraten und zum Fleisch servieren.
Stell dir vor, es gibt ein (kostenloses) Abendessen und keiner kommt. In den Tagen davor war ich tatsächlich etwas aufgeregt. Wäre doch superpeinlich: Da hast du für zwanzig Menschen gekocht, den Tisch gedeckt, die Getränke eingekauft und niemand klingelt an der Tür. Oder noch schlimmer: Nur einer kommt und der ist auch noch ein Idiot. Ich ahnte plötzlich, dass die Idee leicht scheitern könnte,und stand ziemlich ratlos beim Metzger meines Vertrauens vor der Theke. Ein Bœuf bourguignon, allerdings auf der Basis einer Trollinger-Sauce, ist für größere Gruppen ein ideales Gericht. Die Sauce lässt sich strecken, die Fleischportion, je nach Zahl der Gäste, einteilen. „Für wie viele Personen?“, wollte der Metzger wissen. Tja. Ich wusste es ja auch nicht. „Irgendwas zwischen eins und zwanzig“, sagte ich. „Dann nehmense zwoi Kilo.“
Die Angst des Kochs vor der Einsamkeit schlug am Samstag vor dem angekündigten Termin in Panik vor einem Massenansturm um. Zwei Radfahrer waren an unserem Haus vorbeigefahren und meine Mitbewohnerin hatte deutlich gesehen und gehört, wie sie mit den Fingern auf unser Häuschen deuteten und der eine zur anderen sagte: „Hier muss es sein.“ Was hatte das zu bedeuten? Wurde meine Adresse schon ausspioniert? Würden die schwäbischen Horden einfallen (“s’koscht ja nix“)?
Einladungen, bei denen der Gastgeber die meiste Zeit in der Küche steht, sind eine Unart. Viele Gerichte lassen sich so vorbereiten, dass sie in nur wenigen Handgriffen serviert werden können. Ich hatte deshalb 10 Liter Kürbissuppe gekocht. Die geht immer. Die Mohnspätzle kosteten mich den halben Samstagvormittag, dann lag ein Berg aus schwarz gepunkteten Würmern auf dem Backblech, der am anderen Tag nur noch kurz in der Pfanne aufgewärmt werden wollte. Das Fleisch schmorte bei milder Hitze im Ofen.
Eine halbe Stunde vor der angekündigten Zeit klingelte es. Anne hatte eine kleine Tüte österreichisches Alpensalz und einen „Gute-Laune“-Schreibblock (“für den Journalisten“) als Gastgeschenk dabei. Sie wirkte etwas nervös, wollte noch vor der Türe auf eine Freundin warten und siezte mich. Ein Pärchen, er Unternehmer, sie Lehrerin, war aus einer benachbarten Gemeinde angereist, eine Waldorfschullehrerin sogar aus der Gegend von Stuttgart. Allmählich füllte sich mein kleines Wohnzimmer mit Menschen reiferen Alters, siebzehn Stühle waren besetzt und die allgemeine Nervosität war nach der Suppe wie weggelöffelt. Die Gäste unterhielten sich über ihre Berufe, lobten artig meine Spätzle und verabschiedeten sich nach drei Stunden mit zufriedenen Gesichtern.
Die Essecke: Philipp Maußhardt schreibt hier jeden Monat über seinen offenen Sonntagstisch. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere KorrespondentInnen berichten, was in anderen Ländern auf der Straße gegessen wird.
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