■ Offener Machtkampf unter den bosnischen Serben: Karadžić wird nervös
Der Rücktritt hat ihn sehr geschmerzt. Radovan Karadžić, der ehemals unbestrittene Führer der serbischen Extremisten in Bosnien-Herzegowina, der sich selbst als Retter seines Volkes und keineswegs als Kriegsverbrecher sieht, hat es all die Jahre genossen, von den größten Politikern der Welt hofiert zu werden. Nach dem Abkommen von Dayton von der Macht verdrängt, konnte er zwar mit Terroraktionen gegen die internationale Streitmacht drohen und so seine Verhaftung verhindern. Doch die Anklage wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit, wegen der Verantwortung für den Tod von mindestens 150.000 Menschen, wegen der Gründung von Konzentrationslagern und der Vertreibung von Millionen aus ihrer Heimat besteht weiterhin. Und damit die Aussicht, doch noch in Den Haag zu landen.
Von Washington wird Druck gemacht, endlich die Hauptverantwortlichen des Krieges und nicht nur die kleinen Fische zu verhaften. Seit Clinton öffentlich ausgesprochen hat, daß der Schlüssel für den Friedensprozeß in Bosnien-Herzegowina die Verhaftung der Kriegsverbrecher ist, wird die Lage für Karadžić und seinesgleichen ungemütlicher. Der serbische Teilstaat in Bosnien bekommt schon jetzt wegen Karadžić keine Kredite. Die wirtschaftliche Entwicklung wird zudem blockiert, weil Karadžić jegliche Kontakte und damit sogar den einfachen Warenaustausch zwischen den Teilstaaten verhindern will.
Biljana Plavšić, seine Nachfolgerin, dagegen scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Seit sie nicht mehr in Pale, sondern in der wirtschaftlich und politisch aufgeschlosseneren Stadt Banja Luka residiert, versucht sie sich aus dem Einfluß Karadžićs zu lösen. Angesichts ihrer persönlichen Ambitionen, endlich wirkliche Präsidentin des Teilstaates zu sein, ist es nicht verwunderlich, daß sie auch in der Frage der „Kooperation mit der internationalen Polizei“ nachgeben will. Für sie als Ideologin des Krieges und der „ethnischen Säuberungen“ ist dies zudem die beste Gelegenheit, sich selbst reinzuwaschen. Indem der Unmut innerhalb der serbischen Bevölkerung Bosniens über die katastrophale wirtschaftliche Lage größer wird, kann sie sogar auf breite Unterstützung hoffen. Wenn Karadžić hingegen Biljana Plavšić vorwerfen läßt, „eine staatspolitische Krise zu provozieren“, kämpft er gegen jegliche Abweichungen vom alten Kurs. Verliert er diesen Kampf, steht er am Ende vor Gericht. Erich Rathfelder
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