: Offene Flanken, doppelbödig
■ Wiglaf Droste & das Spardosen-Terzett geben sich milde
An dem Mann scheiden sich die Geister. Wiglaf Droste hält eine prominente Position als rauflustiger, indes neben anderen offensiv betriebenen „Tabubrüchen“ Sexismen regelmäßig ansteuernder Romancier, ist dauerpolemischer Ausnahmekolumnist und Reiz so mancher LeserIn des erodierenden Pressespektrums: Was den einen berechtigtes Ärgernis, ist den anderen unabdingbar für eine gute (frei)tägliche Morgenlektüre.
In allen Tiraden ließ Droste dabei immer auch durchblicken, dass dem Gemäkel kein Selbstzweck eigen ist; (populärkulturelle) Phänomene, die er durchgehen ließ, hatten dabei nicht selten mit einer als aufrichtig und (noch) nicht zur Selbsthilfe-Kleinanzeigen-Phrase verkleistert empfundenen Zerknirschung zu tun: Das Verwursten von Songs des großen Melancholikers Nick Drake in Autowerbespots etwa erregte Drostes gerechten Zorn, milde dagegen sein Umgang mit Johnny Thunders' Ableben oder den geschmacklich einst hoch umstrittenen A capella-Streikpos-ten Flying Pickets. (Freilich sucht Droste seine Gegner nicht allein im Feuilleton: Sein Ekel vor dem opportunen Herausstreichen menschlichen Leids im Zuge bundesdeutscher Betroffenheits-Außenpolitik etwa hat kraftvolle Ergebnisse gezeitigt.)
Vor einiger Zeit hat der „Kotzbrocken“ Droste, wie ihn (der wohlgemerkt sozialdemokratische Parteigänger) Klaus Staeck kürzlich nannte, sich mit dem Essener Spardosen-Terzett zusammen getan. Mit den distinguierten Herren als veritabel-musikantischer Band wurde ein Album eingespielt, Für immer geheißen. Die vier habituell alternden Jungmänner, begleitet von diversen nicht minder gemütlich dreinblickenden Gästen aus Filmmusikbranche und Gastronomie, geben sich mit offenen Flanken gepflegtem Schmunzeln und salbungsvoller Melancholie hin. Letztere mag doppelbödig sein, wer weiß – für das anstehende Liveprogramm sind Drostes Wortanteile in gewohnt pointierter Form in Aussicht gestellt.
Musikalisch gibt es kanonmäßig in Ordnung gehendes, angenehm sparsam arrangiertes Liedgut zwischen Chanson, Jazz und Country zu erwarten, zur Aufführung kommen dabei neben Stücken des Terzetts und Drostes wohl auch die ausgesuchten Fremdkompositionen des Albums – zwischen Joe Zawinul und Funny van Dannen, den Eagles (Hotel California in der Jürgen Drews-Version!), Graham Parker, Randy Newman (Rider In The Rain) und andere, tja, alten Männern. Was wir nicht als Altersmilde oder gar -müdigkeit verstanden haben wollen. Alexander Diehl
Montag, 20.30 Uhr, Markthalle
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