Özkan und Amtsberg über weibliche Politik: „Frauen sind überlegter“
Die grüne Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg und Niedersachsens Ex-Sozialministerin Aygül Özkan über die Streitkultur von Frauen im politischen Betrieb.
taz: Frau Amtsberg, Frau Özkan, Sie haben beide sofort einem Interview über das Konfliktverhalten von Frauen zugestimmt. Gibt es Redebedarf?
Luise Amtsberg: Ich habe schon Eindrücke aus meinen ersten Monaten im Bundestag. Ich war auf all die Widrigkeiten gefasst, die einem so begegnen können – auch weil man eine Frau ist.
Und wie ist es?
Amtsberg: Es gibt viele Begegnungen, bei denen das Geschlecht keine Rolle spielt. Daher greifen auch simple Zuschreibungen von männlichen und weiblichen Verhaltensformen nicht so wirklich. Ich habe mich schon häufiger gefragt, ob der „politische Ellenbogen“ tatsächlich ein klassisch männliches Symbol ist oder etwas, das wir auch unter Frauen leben?
Aygül Özkan: Ich glaube, wenn sie sich durchsetzen wollen, können Frauen auch sehr schnell ihre Ellenbogen ausfahren. Das sieht man gerade bei Parteien wie den Grünen, die viele junge Kandidatinnen oder Politikerinnen haben, die lassen sich da auch nichts wegnehmen. Man muss nur die Regeln kennen und sich fragen, ob man sie übernehmen oder andere schaffen will.
Amtsberg: Man trägt als Politikerin ständig Konflikte in und zwischen den Parteien aus, muss sich durchsetzen und wehren. Ließe man sich von diesen Konfliktsituationen emotional mitnehmen, hätte man es sehr schwer. Wenn man den Ellenbogen aus der Politik weghaben will, müsste man einen anderen politischen Stil pflegen.
Wie sähe der aus?
Amtsberg: Mehr Solidarität und mehr Kompromiss- und Teamfähigkeit. Worauf ich hinauswill: Ich glaube, in der Politik ist der Ellenbogen nicht geschlechterspezifisch, auch wenn wir Frauen das gern so hätten. Er ist etwas Politik- und Machtspezifisches.
29, die Islamwissenschaftlerin, ist Mitglied der Grünen, zog 2009 als jüngste Frau in den schleswig-holsteinischen Landtag ein und sitzt seit der letzten Bundestagswahl im Bundestag.
Özkan: Naja, in der Politik, etwa bei der Besetzung von Posten in Ausschüssen, spielen vier Dinge eine wesentliche Rolle und die sind für Außenstehende oft nicht so präsent: Der Proporzgedanke, sie müssen etwa zum richtigen Kreisverband gehören. Geschlecht spielt neuerdings eine Rolle, weil man auf die Quotenregelung achtet, die Flügelzugehörigkeit ist wichtiger als der inhaltliche Gedanke und die Konfession zählt. Diese Faktoren haben nichts damit zu tun, ob man fachlich gut im Thema ist.
42, die Rechtsanwältin war Managerin bei einem Postdienstleister, ist Mitglied der CDU, zog 2008 in die Hamburger Bürgerschaft und war von 2010 bis 2013 Sozialministerin in Niedersachsen.
Das gilt auch für Männer.
Özkan: Frauen gehen da vielleicht zu blauäugig rein und sagen, ich will doch in der Sache argumentieren und bewerbe mich mit meiner Fachkenntnis. Darüber müsste ich doch ausgewählt werden. Aber so ist es eben nicht.
Frau Amtsberg, Sie haben mal gesagt, dass Sie oft eher über Ihre Person und nicht über die Sache wahrgenommen werden.
Amtsberg: Bis zu einem gewissen Grad ist das auch schön, weil ich meine Politik ja mit meiner Person verbinden will. Mir ist aber aufgefallen, dass zum Beispiel das Interesse der Medien groß ist, weil man die Kategorie „junge Frau“ auf mich packt.
Özkan: Bei mir kommen zu Frau und jung, ich war ja noch jung, als ich in der CDU angefangen habe, noch Migrationshintergrund und Quereinsteigerin.
Amtsberg: Genau das meine ich! Das Problem ist immer noch das Schubladendenken. Der „Ellenbogen“ ist nichts spezifisch Männliches, genauso wenig ist eine Kanzlerin per se Garant für mehr Weiblichkeit in der Politik. Wir müssen weg von diesen Kategorien, hin zu einer Gesellschaft, in der es nicht relevant ist, ob man Mann oder Frau ist.
Özkan: Soweit sind wir noch nicht. Ich mache es auch an den Netzwerken fest und kann für meine Partei sagen, dass die meisten männlich dominiert sind. Versuchen Sie mal, da reinzukommen. Ich habe ja den Schwenk von Hamburg nach Niedersachsen gemacht, da haben jetzt nicht alle sofort gesagt: Hurra, jetzt ist sie da! Da brechen große Machtkämpfe aus und sie müssen sich eigene Netzwerke aufbauen.
Frau Amtsberg, da runzeln Sie die Stirn?
Amtsberg: Da hilft so etwas wie die Quote, wie wir sie bei den Grünen haben. Ausschüsse und Gremien sind bei uns geschlechterparitätisch besetzt. Die Quote hat es auch möglich gemacht, dass wir viele Frauen haben, die genau wissen, wie das Geschäft funktioniert und die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen – nicht von Männern, aber auch nicht von Frauen.
Özkan: Da werden untereinander die Ellenbogen ausgefahren.
Amtsberg: Eine erfahrene Fraktionskollegin hat neulich mal zu mir gesagt, dass ich es leicht haben werde, weil ich jung und blond bin. Es hat mich schon geschockt, dass es in den eigenen Reihen so eine Wahrnehmung gibt. Bei Konflikten in der Politik geht es leider häufig um die Frage, wie man etwas an seinem Gegenüber herausarbeiten kann, das ihn oder sie klein macht.
Haben Sie das auch so erlebt?
Özkan: Ich habe den Eindruck, dass diese Zuschreibungen über Äußerlichkeiten, Religion oder Herkunft mehr bei Frauen passieren als bei Männern. Wobei ich sagen muss, wenn die Person stark ist, wird sie auch immer versuchen, aus diesem ersten Moment des Ärgers ihre Möglichkeiten zu erkennen und diese für ihre Themen zu nutzen.
Wie denn?
Özkan: Ich erlebe es in politischen Konfliktsituationen so, dass Frauen eher die offene Diskussion führen. Männer wollen es lieber im Hintergrund lösen und Mehrheiten organisieren. Frauen sind überlegter.
Amtsberg: Da ist was Wahres dran! Männer wie Seehofer sind ständig mit unüberlegten Äußerungen in den Nachrichten, die produzieren eine Schlagzeile nach der nächsten mit der Maßgabe, wer ist hier eigentlich der härteste Populist? Bei Merkel oder von der Leyen ist da wenig Unüberlegtes im Spiel.
Özkan: Frauen denken einfach zwei, drei Schritte voraus.
Amtsberg: Wobei es für die Machtorientierung auf der einen und für den sanften und schönen Politikstil auf der anderen Seite gute und erschreckende Beispiele gibt. Vielleicht fällt es bei Frauen nur stärker auf, wenn sie sich solcher, in der Politik leider üblichen Mittel bedienen.
Was sagt es aus, dass es einen Haufen Veröffentlichungen und Seminare zum Thema Konfliktmanagement speziell für Frauen im Beruf gibt?
Özkan: Frauen holen sich gerne Rat ein, weil sie lösungsorientiert sind. Männer holen sich das im Verborgenen oder in ihren Netzwerken.
Amtsberg: Ständig hört man, dass Frauen lernen müssen, ihre Ellenbogen auszufahren. Mal abgesehen davon, dass sie das ohnehin schon tun, was müssen eigentlich die Männer? Das ist doch keine Einbahnstraße. Auch Männer müssen ihren Beitrag zu Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung beitragen.
Özkan: Ich glaube, es gibt hier einen riesengroßen Konflikt. In der Politik können sie sich durchsetzen, wenn sie unbequem sind und auch mal die Extrempositionen vertreten. Ich nehme mal das Beispiel Gerhard Schröder. Der war, bevor er damals Ministerpräsident in Niedersachsen wurde, total unbeliebt in seiner Fraktion. Das war so ein richtiger Querschießer, der immer Konflikte ausgelöst hat und als sich dann keiner als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten fand, hat er zugegriffen. Unbequem zu sein, gehört zum politischen Alltag und bei den Männern gilt das als clever. Sind Frauen unbequem, gelten sie als zickig und nervig.
Amtsberg: Aber das ist ja auch die Strategie. Unsere parlamentarische Geschäftsführerin hat neulich in einer Debatte im Bundestag für die Rechte der Opposition gekämpft und eine starke Rede gehalten. Und was macht der CDU-Kollege, der eine andere Auffassung hat? Er geht nach vorn und sagt: „Nun werden Sie mal nicht hysterisch hier. Kommen Sie mal runter und regen sich nicht auf.“
Özkan: Das ist eine subtile Art der Diskreditierung.
Amtsberg: In so einer Situation sage ich mir immer: Wenn die Person kein anderes Argument hat, habe ich wohl alles richtig gemacht. In meinen Augen ist es eine Offenbarung von Schwäche, wenn jemand zu solchen Mitteln greift. Und in jedem Fall ist es ein sehr respektloser Umgang.
Wie reagieren Sie, wenn Ihnen ihr Gegenüber so kommt?
Amtsberg: Ich bin in der Politik schon so manch sexistischem Spruch begegnet. Ich gebe mir Mühe, mich nicht aus der Reserve locken zu lassen. Meist spiegle ich es offen zurück. Bisher bin ich damit ganz gut gefahren.
Frauen pflegen also einen offeneren Streitstil in der Politik?
Amtsberg: Ist man klar oder labert man nur rum, ist man ehrlich oder korrupt, ist man intrigant oder nicht? Das sind Zuschreibungen, die auf Männer wie Frauen zutreffen. Wenn man solchen Diskriminierungen begegnet, muss man selbstbewusst genug sein und dem knallhart einen Riegel vorschieben. Aber es tut schon etwas weh, wenn man sich über das Thema definiert, deswegen in den Bundestag wollte und sich dann mit sowas auseinandersetzen muss.
Özkan: Politik ist ein Machtbetrieb und man muss sich als Frau die Frage stellen, will ich ein Machtmensch sein?
Amtsberg: Diese Frage müssen sich Männer auch stellen.
Özkan: Aber bei Frauen ist es akuter, weil sie mehr abwägen. Ich muss mich fragen, will ich diese Macht und will ich in der Öffentlichkeit stehen? Wenn man die Frage mit Ja beantwortet, muss man zu unbequemen Entscheidungen stehen und mit Gegenwind rechnen – auch wenn man als Frau gelegentlich harmoniebedürftiger ist.
Wie kommen Sie darauf?
Özkan: Ich habe es in den drei Jahren als Ministerin schon so manches Mal erlebt, dass mich in der Mehrzahl Frauen gefragt haben, wie kommst du damit klar, dass du in der Öffentlichkeit stehst, angegriffen wirst und dich für alles rechtfertigen musst? Daran merke ich, Frauen sind per se gern in der Position, es jedem recht machen und nicht so sehr auffallen zu wollen. Aber davon muss man sich lösen, sonst macht man sich was vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen