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Österreichs Präsidentenwahl als SymptomEs ist eine Spaltung

Knapp überm Boulevard

von Isolde Charim

Wissen Sie, was der Unterschied ist zwischen dem Moment, wo ich dies schreibe, und jenem Moment, wo Sie dies lesen? Sie werden den Ausgang der österreichischen Präsidentenwahl kennen. Aber das ist nicht nur ein Defizit. Es ist vielmehr auch ein Symptom. Ein Sinnbild für den Zustand des Landes: Dass die Wahl am Wahltag keinen Ausgang findet, dass die beiden Kandidaten mit jeweils 50 Prozent aneinandergekettet sind – das ist tatsächlich ein Sinnbild für die Gesamtsituation.

Wie lange haben alle gerufen: Es braucht echte politische Alternativen, nicht diesen ewigen Einheitsbrei. Und nun gab es solch eine echte Wahl. Und was ist der Effekt? Das Land ist zutiefst gespalten. Und die Gesellschaft driftet auseinander. 50:50.

Und wenn manche Kommentatoren jetzt schreiben, das Land sei polarisiert, aber nicht gespalten – dann muss man sagen: Nein. Machen wir uns nichts vor. Das ist eine Spaltung. Polarisierung würde eine Erhitzung im Austausch von Argumenten bedeuten. Spaltung aber meint, dass es keinen Austausch mehr gibt. Dass keine Kommunikation mehr möglich ist – weil man, gerade bei FPÖ-Wählern, auf eine Glaubenshaltung trifft. Und solche sind eben nicht diskursiv.

Die österreichischen Politexperten suchten den ganzen Sonntag nach Marksteinen für den Verlauf der Spaltung. Es wurden allerlei Unterschiede benannt: Das Wahlverhalten differiert massiv zwischen Männern und Frauen, zwischen Stadt und Land (je ländlicher, desto Hofer“), nach Bildungsgrad. All dies trifft aber nicht den Kern.

Etwas näher kommt man der Sache, wenn man unterscheidet zwischen Unzufriedenen, Empörten, die eine Veränderung wollen, und jenen, die auf Kontinuität setzen und Vertrauen haben. Denn das bedient sie reichlich, die FPÖ – das Misstrauen. So hieß es schon im Vorfeld, es gäbe eine „Wahlkartenverschwörung“, und am Wahlabend ritt sie heftige Attacken gegen das öffentliche Fernsehen, das den Stimmenstand nicht korrekt wiedergebe. Von Schiebung war die Rede und von gezielter Desinformation. Das ist der bekannte „Lügenpresse“-Ruf – zentrales Vehikel des Misstrauens.

Dazu gehört auch das sofort aufgetischte Narrativ angesichts des Nicht-Wahlausgangs, dass sich das „gesamte verkrustete System“ hinter dem Grünen Van der Bellen versammelt habe gegen den einsamen Kämpfer Hofer – und es trotzdem nicht geschafft habe. Ein perfektives Narrativ – bietet es doch Sieger- und Opferposition in einem. Für alle Eventualitäten gerüstet. Auch wenn es auf einer haarsträubenden und offensichtlichen Lüge basiert – als ob an den 50 Prozent für den FPÖ-Kandidaten nicht auch breite Teile anderer Parteien teilhätten.

Die Rechte hat die Identität zu dem Terrain gemacht, auf dem die Demokratie verhandelt wird

Streit um die Identität

Aber das wirklich entscheidende Moment, das aus der Polarisierung eine Spaltung der Gesellschaft macht, der nachhaltigste und gefährlichste Zug der extremen Rechten – der ist ein anderer. Es ist die Gruppierung sämtlicher gesellschaftlicher Probleme entlang einer Linie – der Identität. Sie haben das Terrain der Auseinandersetzung verschoben: Sie haben es geschafft, die Identität zu jenem Terrain zu machen, auf dem das Gesellschaftliche, auf dem die Demokratie verhandelt wird.

Dassichert die rechte Hegemonie.Daserzeugt die Spaltung – denn Identitätsfragen sind nicht verhandelbar. Und daserzeugt das Glaubensmoment, die hohe Emotionalität, die nicht mehr kommunikativ vermittelbar ist. Nur Identitätsfragen sind unteilbar und erzeugen ebendeshalb starke Gefühle.

Wobei diese Gefühle nicht einfach nur die viel zitierten Ängste sind, die man verstehen müsse. Nein, diese überbordenden Gefühle sind auch und wesentlich Hass. Hass wird in Stellung gebracht, um das Terrain der eigenen Identität abzustecken und zu sichern – gegen alles, was diese Identität infrage stellen könnte.

Ja, es mag soziopolitische Ursachen für Misstrauen, Empörung und Unzufriedenheit geben. Hier kann ein Verstehen andocken. Aber nicht bei der Übersetzung dieser Gemengenlage in Identitätsfragen. Nicht bei dieser Verschiebung des gesellschaftlichen Terrains. Das Land ist gespalten. Und diese Spaltung ist ein Effekt des Voranschreitens der rechten Hegemonie. Wer auch immer siegt, ob Hofer oder Van der Bellen, er wird diese Spaltung nicht vereinen können. Er wird keine Mehrheit haben. Nur einen Hauch. 50:50. Das ist das Sinnbild.

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