Ölteppich auf dem Persischen Golf: Der Beginn eines Alptraums
■ Schon jetzt ist ein Vielfaches der Menge Öl in den Golf gelaufen, die seinerzeit aus der „Exxon Valdez“ vor Alaska ausströmte. Tanker kommen als Ursache kaum noch in Frage. Offenbar hat jetzt der „Ökokrieg“ begonnen.
Fassungslos starrt die Welt auf die durch den Golfkrieg ausgelöste größte Ölkatastrophe aller Zeiten. Schon am Samstag schätzten saudische Behörden, daß acht Millionen Barrel Öl (ein Barrel entspricht 159 Liter) vor der kuwaitischen Küste ins Meer geflossen sind. Britische Militärkreise berichteten, ein Teil der riesigen öllache sei in Brand geraten. Die Ölpest vernichtet nicht nur die Tier- und Pflanzenwelt, sie bedroht die Lebensgrundlagen der gesamten Region. Eine wirksame Bekämpfung des schmierig-schwarzen Ölteppichs im Norden des Persischen Golfs wäre nach einhelliger Auffassung aller Experten selbst in Friedenszeiten nahezu aussichtslos. Solange der Krieg tobt, ist sie unmöglich.
Die Ausmaße des weiter wachsenden Ölteppichs — gestern war die Rede von 136 Kilometer Länge und gut 15 Kilometer Breite — sprechen stündlich mehr gegen die irakische Version vom Freitag, die Verseuchung sei Resultat der Bombardierung irakischer Supertanker durch die alliierte Luftwaffe. Pentagonsprecher Williams bezichtigte Bagdad des „Umweltterrorismus“. Das Öl werde aus fünf Tankern und über eine 15 Kilometer vor der kuwaitischen Küste gelegenen Verladestation bewußt ins Meer gepumpt.
Der Schweizer Rechtsexperte des Roten Kreuzes, Haug, mahnte, daß das vorsätzliche Herbeiführen von Umweltkatastrophen als Mittel der Kriegsführung gegen ein Zusatzprotokoll des Genfer Abkommens verstoße. Allerdings hätten bisher weder der Irak noch die USA dieses Protokoll unterzeichnet.
In den USA wird unterdessen über die möglichen Motive Saddam Husseins gerätselt, zu diesem Zeitpunkt das Öl als Waffe zu benutzen. Es gehe ihm darum, ein möglicherweise bevorstehendes Landungsunternehmen der Amerikaner an der kuwaitschen Küste zu erschweren, meinen die einen. Tatsächlich könne der Ölschlick die Landung der Marines erheblich behindern und beeinträchtige darüber hinaus die Wasserzufuhr für die Kriegsschiffe, die sich über eigene Entsalzungsanlagen mit Wasser versorgen.
Besondere Sorgen bereitet den US-Militärs offenbar die Vorstellung, daß der Ölteppich im Falle eines Angriffs von den Irakis entzündet und als brennende Barriere genutzt werden könnte. Experten bezweifeln allerdings, daß dies überhaupt möglich ist, wenn die leichtflüchtigen Anteile des Rohöls bereits verflogen sind. Gestern wurde deshalb darüber spekuliert, ob der Irak das Öl mit Benzin mischen kann, um es anschließend anzuzünden. Unter diesen Umständen wurden vollmundige Äußerungen des amerikanischen Präsidenten George Bush und seines Sprechers Marlin Fitzwater nicht besonderes ernst genommen, die Ölsabotage werde dem Irak „keinerlei militärischen Vorteil“ bringen, und man könne „darum herumplanen“.
Eine andere Theorie besagt, es gehe Saddam Hussein in erster Linie um die Vergiftung der im Norden des Persischen Golfs konzentrierten Wasserentsalzungsanlagen. Aus ihnen beziehen nach Angaben des jordanischen Wissenschaftlers Abdallah Tuqan bis zu sechs Millionen Menschen ihr Trinkwasser — und zwar in der Region um das saudiarabische Industriegebiet um Jubail und Dahran, die Inselrepublik Bahrain und das Scheichtum Katar. Auch der Iran, der inzwischen internationale Umweltschutzorganisationen und die Industriestaaten zu Hilfsaktionen gegen die Folgen der Ölkatastrophe aufgerufen hat, könnte bei ungünstigen Wetterverhältnissen bald betroffen sein. Die Wasserentsalzungsanlagen versorgen auch Hunderttausende Soldaten der alliierten Armee.
Der Wissenschaftler Tuqan bezeichnete den Ölteppich in einem Interview als „Beginn eines Alptraums“. Ähnlich dramatisch äußerten sich der kuwaitische Exilminister Abdul Rahman Al-Awadi, und der Umweltbeauftragte der ägyptischen Regierung Said Eid. Dagegen bestritt der Chef der saudiarabischen Umweltbehörde, Abdulah Al Gain, die Risiken für die Trinkwasserversorgung des Landes und wurde in dieser Ansicht auch von französischen Experten unterstützt. Die Möglichkeit einer Ölpest sei beim Bau der Anlagen berücksichtigt worden. So werde das Wasser tief unter der Meeresoberfläche abgepumpt. Norwegische Spezialisten haben unterdessen angekündigt, zumindest Ölsperren auslegen zu wollen.
Sprecher der Umweltschutzorganisationen Greenpeace und World Wildlife Fund for Nature (WWF) wiesen insbesondere auf die langfristigen Auswirkungen auf das Ökosystem des Golfes hin, bei dem es sich ohnehin um eine der größten „Ölmüllkippen“ der Welt handele. Das Leben in dem tropischen Meer werde sich auch in Jahrzehnten nicht regenerieren können.
Der Bonner Umweltminister Klaus Töpfer hat unterdessen verlangt, auf die „Entwicklung zum Umweltkrieg und Umweltterror“ mit einem Sonderopfer für die Golfregion zu reagieren. Dazu sollten die fallenden Mineralölpreise nicht an die Verbraucher weitergegeben, sondern eingefroren oder auch erhöht werden. Außenminister Hans- Dietrich Genscher sicherte den betroffenen Ländern technische Hilfe bei der Bekämpfung der Umweltkatastrophe zu, „sobald die amerikanischen Experten die geeigneten Wege für eine Verminderung des Schadens aufgezeigt haben“. Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Grüne verlangten die Einberufung eines internationalen ökologischen Krisenstabes durch die UNO und einen sofortigen Waffenstillstand. Gerd Rosenkranz
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