Ölpreis gibt nach: Rätselraten an den Börsen
Erst hoch, dann etwas runter: Der Ölpreis ist seit Anfang Juli deutlich gefallen. Jetzt streiten Analysten über die Gründe.
BERLIN taz Noch Anfang Juli verzeichneten die Börsen für Rohöl ein Allzeithoch: Ein Barrel Öl (159 Liter) kostete rund 147 US-Dollar - innerhalb von sechs Jahren hatte sich damit der Preis verfünffacht. In dieser Woche dagegen sackte der Kurs sowohl für die US-Sorte WTI als auch für das Nordseeöl Brent unter die Marke von 120 Dollar je Fass. Damit kostet Öl zwar immer noch doppelt so viel wie vor einem Jahr. Aber auf den Aktienmärkten sorgte der - zumindest vorübergehend - fallende Ölpreis für Aufwind: Die Börsenindizes legten weltweit zu, ebenso Papiere von Fluggesellschaften oder Konsumgüterherstellern. Denn sinkende Energiepreise machen nicht nur den Verkehr billiger, sondern bringen jedem Konsumenten mehr Spielraum - und dämpfen die Inflation.
Die Freude über den gesunkenen Ölpreis eint Börsianer und Analysten, weniger einig sind sie sich bei den Gründen. Ein Erklärungsversuch ist die schlichte Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage, die zu einer Entspannung des Markts führen könnte. Neue Ölfunde in Brasilien und der russischen Arktis verbessern das Angebot. Die Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec), allen voran Saudi-Arabien, steigert seit Anfang Mai die täglich geförderte Ölmenge. Die laufende Tropensturmsaison hat bisher im Golf von Mexiko die Ölproduktion nicht beeinträchtigt. Und der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama lehnt Ölbohrungen vor der US-Küste nicht mehr strikt ab; zudem plädiert er dafür, für billigere Benzinpreise das Leichtöl der Strategischen Reserve durch Schweröl zu ersetzen. Gleichzeitig zeichnet sich ein Rückgang der Erdölnachfrage in Europa und den USA ab: Die Konjunktur schwächelt, die Konsumenten kaufen sparsamere Autos und fahren weniger.
Um vom Platzen einer Preisblase zu sprechen, ist es allerdings zu früh. "Diese Hoffnung ist ohnehin aussichtslos, denn es gibt keine Blase", sagt Werner Zittel, Autor der aktuellen Erdölstudie der Energy Watch Group. Laut dieser Studie wurde der Höhepunkt der weltweit möglichen Ölproduktion 2006 überschritten. Zittel: "Nicht die Spekulanten sind beim Ölpreis das Problem, sondern der Mangel an Öl."
Aus Sicht der Commerzbank ist es jedoch eindeutig, dass vor allem Gewinnmitnahmen großer Investoren in dieser Woche zum Einknicken des Ölkurses geführt haben. "Das Ausmaß und die Breite der Verluste deuten auf Liquidationsverkäufe hin", meinen die Analysten, die schon ein Ende der Rohstoffrallye für möglich halten. Zunächst seien die Metalle unter Druck geraten, dann der Agrar- und schließlich der Energiesektor. Bereits Mitte Juli hatten verschiedene Analysten, die Charts unter technischen Gesichtspunkten beurteilen, Investoren empfohlen, auf fallende Preise zu spekulieren.
Dieses Fallen der Preise kann sich jedoch jederzeit wieder umkehren. Neben der Hurrikansaison beschränkt im Sommer die anlaufende Heizölproduktion die verfügbare Ölmenge. Der Atomstreit mit dem Iran schwelt weiter, der Staat am Persischen Golf könnte bei einer Eskalation des Konflikts die für Öltransporte wichtige Straße von Hormus blockieren. Eine nigerianische Rebellenorganisation hat weitere Anschläge auf Erdölleitungen von Shell angekündigt. Venezuela gilt an den Ölbörsen mit seiner Politik der Verstaatlichung als Risiko. Auch in Russland gibt es Probleme: Das Land hat seine Prognosen zur Erdölförderung nach unten revidiert, außerdem macht der gerade erhöhte Zoll Exporte weniger attraktiv. Und die Nachfrage sinkt nicht überall: Während die Industrieländer wegen der Konjunkturschwäche weniger Öl verbrauchen, wächst in den Schwellenländern die Nachfrage bestenfalls weniger stark.
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