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Ökonomischer Ruin: Chance für einen Neuanfang?

■ Modernisierung von Industrie und Landwirtschaft als Zukunftsaufgabe Rumäniens

Bukarest/Berlin (dpa/taz) - Fünf Hungerjahre lang mußten die 23 Millionen Rumänen für die völlig verfehlte und überdimensionierte Industrialisierungspolitik Ceausescus zahlen. Mit enormen Agrarexporten wurden die Auslandsschulden in Höhe von elf Milliarden Dollar abgetragen.

Die Rumänen mußten im wahrsten Sinne des Wortes die Gürtel enger schnallen - es gab schlicht zu wenig zu Essen. Heute hat das Land nach westlichen Schätzungen noch rund 1,5 Milliarden Dollar Auslandsschulden, ein Bruchteil der Verbindlichkeiten, wie sie die DDR, Polen oder Ungarn aufweisen. Potentieller landwirtschaftlicher Reichtum, relativ niedrige Außenschulden und gut ausgebildete Arbeitskräfte könnten eine Grundlage für eine Generalüberholung der maroden rumänischen Wirtschaft bieten.

Diktator Ceausescu war ein Meister der Unterdrückung und ein Stümper in der Wirtschaft. Seine drastischen Importbeschränkungen, die den Abbau der Auslandsschulden ermöglichen sollten, ruinierten breite Teile der Ökonomie: Selbst Betriebe, deren Produkte exportfähig waren, mußten Produktionen zeitweise oder ganz aufgeben, weil zum Teil einfachste Ersatzteile für Maschinen sowie Grundrohstoffe fehlten. In den großen staatlichen Bauernhöfen wurde dem Vieh minderwertiges Futter gegeben, also sank die Milchproduktion in den Betrieben pro Kuh binnen zehn Jahren von 40 auf acht Liter in der Woche. Durch das Verbot von Pestiziden und Herbiziden in der Landwirtschaft - nicht etwa aus ökologischen Gründen, sondern aus Sparsamkeit - gingen der Landwirtschaft jährlich etwa 20 Prozent der Ernteerträge verloren. Das früher reiche Agrarland Rumänien ist heute völlig heruntergewirtschaftet. Paradoxerweise könnte aber gerade darin eine Chance für die neue rumänische Führung liegen. Ökonomisch günstig, wenn auch sozialpolitisch fragwürdig könnten sich die niedrigen Löhne erweisen, die weit unter osteuropäischem Durchschnittsniveau liegen. Arbeitsintensive Produktionen könnten auf diese Weise weltmarktkonkurrenzfähig werden.

Am dringendsten scheint die Modernisierung der rumänischen Industrie und Landwirtschaft. Aufgrund der günstigen Schuldenlage könnte das gelingen, ohne daß das zweite große Ziel der neuen Machthaber, die Verbesserungen der privaten Versorgung, geschmälert wird. Das jetzt erlassene Verbot der Ausfuhr von rumänischen Lebensmitteln hat bereits jetzt zu einer spürbaren Verbesserung des Warenangebots geführt. Im Agrarsektor hat der Bauer wieder Chancen auf private Wirtschaft. Zunächst wurde den Landwirten zwar nur ein halber Hektar Land zur privaten Bebauung zugestanden, aber sie dürfen mit dem Land und den Produkten tun und lassen, was sie wollen. Noch aber ist unklar, inwieweit die großen landwirtschaftlichen Genossenschaften privatisiert werden. Die Staatsfarmen sollen nach dem Willen der provisorischen Regierung weiter bestehen. Völlig zu den Akten gelegt wurde das berüchtigte „Systematisierungsprogramm“. Ceausescu wollte tausende von gewachsenen Dörfern vernichten und sogenannte agroindustrielle Zentren errichten.

In den wichtigsten Industriezweigen müssen nun erhebliche Investitionen für moderne Maschinen und Verfahrenstechniken geleistet werden. Hier eröffnen sich auch große Möglichkeiten für westliche Industrieländer. Bisher wichtigster Außenhandelspartner Rumäniens ist die Bundesrepublik. Der Wert des Warenaustauschs betrug 1988 1,96 Milliarden Mark. Auch der neuen rumänischen Führung ist klar, daß nur eine Modernisierung die einheimische Industrie international wettbewerbsfähig machen kann.

Rumäniens Wirtschaft hat beachtliche Chancen, aber es gibt auch offene Fragen. Das Land muß vor allem seine Rohstoff und Energieversorgung sicherstellen, was erhebliche Kosten verursachen wird. Die Zeiten der schlecht geheizten und viele Stunden stromlosen Wohnungen in Rumänien sollen der Vergangenheit angehören. Ein weiteres Problem sind die verseuchten Flüsse und Seen sowie der vergiftete Boden. Umweltschutzmaßnahmen in den Industriebetrieben waren bisher unbekannt.

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