Ökonom Jeremy Rifkin: Die Rettungs-Theorie
Die Menschheit wird stets einfühlsamer und wird uns deshalb vor dem Klimakollaps retten, behauptet der Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin in seinem neuen Buch.
Die Frage, die Jeremy Rifkin im Vorwort seines neuesten Buchs "Die emphatische Zivilisation" stellt, ist interessant und berechtigt: Kriegt die Menschheit noch rechtzeitig die Kurve, die ökologische Überforderung des Planeten zu stoppen? Doch leider gelingt es dem Autor nicht, die Bedingungen für eine positive Antwort aufzuzeigen. Stattdessen speist er seine Leserschaft nach über 400 Seiten ab mit banalen, nicht weiter ausgeführten Hoffnungssätzen: "Mit der Wirtschaftskrise sinkt der Lebensstandard der Menschen weltweit. Selbst Wohlhabende müssen lernen, mit weniger auszukommen. Das könnte sich durchaus als Segen erweisen, sofern es die Menschen dazu bringt, sich darauf zu besinnen, was ein gutes Leben eigentlich ausmacht." So etwas ist schlicht ärgerlich.
Die These, die dem voluminösen Werk zugrunde liegt, ist einfach und stützt sich auf Arbeiten neuerer Evolutionsforscher. Rifkin geht davon aus, dass das Grundbedürfnis des Menschen im sozialen Mit- und nicht Gegeneinander liegt: Einfühlung entspricht dem menschlichen Wesen viel stärker als Aggression, Habgier und Egoismus. Während Geschichte bisher immer als "Pathologie der Macht" geschrieben worden sei, betrachtet Rifkin die Entwicklung der Zivilisation als eine Ausweitung der Kommunikationswege von der Schrift über den Buchdruck zum Internet. Damit einher nehme die Fähigkeit zu, sich in fremde Menschen und schließlich auch in andere Lebewesen hineinzuversetzen. Der Holocaust oder Kriege mit Millionen Toten passen nicht in Rifkins Konzept - und werden deshalb nicht einmal erwähnt. Den problematischen Punkt der Menschheitsgeschichte verortet Rifkin anderswo: Mit der Ausweitung der Kommunikation wächst auch jedes Mal der Ressourcenverbrauch, so hat die Menschheit die Erde inzwischen an den Rand ihrer Anpassungsfähigkeit gebracht. Am Schluss verbreitet Rifkin die vage Hoffnung, das "biosphärische Bewusstsein" werde vielleicht bald ausreichen für einen ressourcenarmen Lebensstil.
Zunächst aber liefert der Autor ein Potpourri aus Theorieversatzstücken, die von den beiden Sätzen der Thermodynamik über verschiedene psychoanalytische Denkschulen bis hin zur Hirnforschung reichen. Auch unbelegte Behauptungen wie die, das Telefon habe entscheidend zum Gefühl weiblicher Solidarität beigetragen, sind hier zu finden. Auf dieser Grundlage will Rifkin anschließend eine "Neubewertung der menschlichen Entwicklung" vornehmen. Es folgt ein - zum Teil durchaus lesenswerter - Ritt durch die Geschichte der vergangenen 10.000 Jahre, der sich allerdings zunehmend auf eine europäisch-nordamerikanische Perspektive verkürzt. Was Rifkin interessiert, sind Fragen, wie Gruppen funktionieren, wodurch sich beim Einzelnen ein Selbstbewusstsein herausbildet und wo wir heute stehen. Vieles, was er schreibt, ist seit Norbert Elias "Prozess der Zivilisation" aus den 1930er-Jahren bekannt. Interessant bei Rifkin sind Details wie der Hinweis, dass die Menschen in Florenz 1490 erstmals auf Stühlen und nicht mehr auf Kissen oder Bänken saßen - Ausdruck der Vorstellung vom autonomen Individuum.
Diesen Text finden Sie in der aktuellen sonntaz - am 13. und 14. März gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlich.
Rifkin teilt die Menschheitsgeschichte in verschiedene Blöcke. Zu Zeiten mündlicher Überlieferung habe ein mythologisches Bewusstsein geherrscht. Die Verschriftlichung führte dann zum theologischen, die Printtechnik zum ideologischen und die elektronische Kommunikation schließlich zum psychologischen Bewusstsein. Rifkin lässt keinen Zweifel, dass er darin eine stete Entwicklung zum Höheren sieht und schreckt auch nicht vor holzschnittartigen Aussagen zurück: "Während in den Entwicklungsländern noch das theologische und in den Schwellenländern das ideologische Bewusstsein vorherrschen, hat das psychologische Bewusstsein in den führenden Industrienationen der Welt die Oberhand gewonnen." Eine zum erheblichen Teil durchtherapierte Gesellschaft, die Existenz von Selbsthilfegruppen und die weltweite Kommunikation über Internetplattformen wie Facebook gelten Rifkin als Ausdruck einer emphatisch hoch entwickelten Welt. Dass diesen ach so sensiblen Seelen der Anblick ausgebeuteter Arbeiter oder das Brüllen von Schlachtvieh nicht mehr zugemutet wird, ohne dass diese Phänomene deshalb verschwunden sind, interessiert Rifkin nicht.
Wie allerdings soll sich jemand gleichzeitig emphatisch hineinversetzen in einen Vater, der sein Kind aus Angst vor dem Verkehr mit dem Auto zur Kita bringt, in die Menschen auf einer absaufenden Südseeinsel und in den Ölarbeiter, der seine Großfamilie durchbringen will? Verstehen kann man sie alle. Doch das wird die Welt sicherlich nicht vor dem Klimakollaps retten.
Jeremy Rifkin: "Die emphatische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein". Campus, Frankfurt/Main 2010. 469 Seiten, 26,90 Euro
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