Ökonom Horn über EZB-Zinspolitik: "Abwarten, bis es zu spät ist"

Dass die Europäische Zentralbank die Zinsen vorerst nicht senken wird, hält der Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung für ausgemacht - und einen Fehler.

"Ich halte diese Politik für falsch": Eurozeichen vor der Europäischen Zentralbank Bild: ap

taz: Herr Horn, was wetten Sie, dass die Europäische Zentralbank bei ihrer Sitzung am Donnerstag nicht senkt?

Gustav Horn: Darauf würde ich ziemlich viel wetten. Sie hat in den letzten Wochen nicht nur Signale gegeben, dass sie ihre Zinsen trotz der Zinssenkungen in den USA eher erhöhen will. Es entspricht auch dem Muster, das sie zu Beginn der letzten Krise 2001 verfolgt hat: Erst einmal abwarten - bis es zu spät ist.

taz: Sie können diese Politik nicht nachvollziehen?

Ich halte sie für falsch. Die Anzeichen für die Krise sind sehr deutlich, und es gibt nur wenig Möglichkeiten, dagegen zu steuern: tarifpolitisch, mit einer entsprechenden Finanzpolitik - und vor allem eben mit der Geldpolitik. Die EZB trägt also einen wesentlichen Teil der Verantwortung. Stimulierende Geldpolitik hat aber eine lange Wirkungsdauer. Sie muss also vorausschauend agieren. Im Klartext: Um die Auswirkungen der Krise auf die Konjunktur in Europa so gering wie möglich zu halten, hätte sie die Zinsen längst senken müssen. Vielleicht nicht so stark, wie die Fed vorgelegt hat. Aber ein halber Prozentpunkt muss drin sein.

taz: Aber EZB-Präsident Jean-Claude Trichet argumentiert mit dem Auftrag der EZB, die Inflation zu bekämpfen. Die Preissteigerung liegen derzeit bei 3,2 Prozent - weit über der EZB-Zielmarke von 2 Prozent.

Aber das ist keine Inflation im eigentlichen Sinn, die sich dadurch auszeichnet, dass sich Preissteigerungen und Lohnerhöhungen gegenseitig hochschaukeln. Die Preistreiber sind vor allem die Energiepreise und die deutsche Mehrwertsteuererhöhung von 2007. Beide Effekte werden im Laufe des Jahres auslaufen.

taz: Das klingt sehr theoretisch. Aber die Bevölkerung spürt die Preissteigerungen derzeit direkt.

Die Preissteigerungen werden vor allem deshalb so negativ erlebt, weil es keine entsprechenden Lohnsteigerungen gegeben hat - was wiederum der Beweis ist, dass es sich derzeit nicht um eine Inflation handelt, die von der EZB bekämpft werden muss. Die Menschen haben viel mehr davon, wenn die Konjunktur angekurbelt wird - und endlich wieder Lohnerhöhungen durchgesetzt werden können.

taz: Das entspräche der Fed-Politik, in den USA. Dort gibt es aber inzwischen einen negativen Realzins: Die Inflation ist höher als die Zinsen. Wenn ich mein Geld also auf der Bank anlege, verliert es an Wert. Wie soll man da wieder Vertrauen in die Banken bekommen?

Dass der Realzins negativ wird, ist durchaus üblich, wenn man eine konjunkturelle Schwäche befürchtet - da soll ja gerade zum Konsum angeregt werden. Er wird sich aber im Lauf von ein, zwei Jahren wieder ausgleichen. Und mit dem Vertrauensverlust der Banken haben die Zinsen wenig zu tun. Der resultiert daraus, dass die Banken in den letzten Jahren Geschäfte getätigt haben, die hochriskant und hochspekulativ waren: Zum einen gaben sie praktisch jedem Kredit, zum anderen ließen sie sich auf Spekulationen mit diesen faulen Krediten ein, deren Mechanismus sie zum Teil selbst nicht verstanden. Das Vertrauen kann man am besten dadurch wieder aufbauen, dass man einen Konjunktureinbruch so weit wie möglich vermeidet - so dass die Menschen ihre Arbeitsplätze behalten.

taz: Schon der letzte Fed-Chef Alan Greenspan ist mit seiner hochaktiven Zinspolitik zur Legende geworden. Heute werfen ihm aber manche Ökonomen vor, mit seinen radikalen Zinssenkungen zunächst die Dotcom- und später die Hypothekenblase mit verursacht zu haben.

Das halte ich für falsch. Es hat immer Übersteigerungen an den Finanzmärkten gegeben, die aus falschen Erwartungen und fehlender Regulierung entstanden sind. Höhere Zinsen hätten sie nicht verhindert.

taz: Was meinen Sie mit fehlenden Regulierungen?

Beispielsweise hätte es für Immobilienkredite härtere Bedingungen geben müssen, das ist keine Frage des Zinssatzes, sondern der Selbstregulierung und der Politik.

taz: Wie entscheidend ist Geldpolitik tatsächlich? Greenspan selbst hat kürzlich gesagt, eigentlich hätten die Notenbanken gar nicht so viel Einfluss...

Das halte ich für Understatement. Empirisch zeigt sich, dass die Geldpolitik tatsächlich sehr viel bewegen, die Konjunktur sehr wohl ankurbeln oder bremsen kann. Allerdings geht das mit unterschiedlicher Geschwindigkeit: Zinssenkungen brauchen drei bis vier Quartale, bis sie sich real auswirken. Eine überschäumende Wirtschaft mit Zinserhöhungen zu bremsen, geht sehr viel schneller - noch ein Argument übrigens, jetzt nicht zu lange mit Zinssenkungen zu zögern.

INTERVIEW: BEATE WILLMS

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.