Ökonom Bontrup über Wirtschaftskrise: "Wir machen so weiter - unfassbar"
Wenn wir die Gelegenheit nicht für eine Demokratisierung der Wirtschaft nutzen, haben wir aus der Krise nichts gelernt, ist der Ökonom Heinz-Josef Bontrup überzeugt
Der 56-Jährige ist Diplomökonom und Diplombetriebswirt. Von 1990 bis 1995 arbeitete er als Arbeitsdirektor in der Stahlindustrie. Seit 1996 ist er Professor für Wirtschaftswissenschaft an der FH Gelsenkirchen. Er ist Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die jährlich ein Gegengutachten zur Prognose des Sachverständigenrats der Bundesregierung herausgibt.
taz: Herr Bontrup, freuen Sie sich über die Krise?
Heinz-Josef Bontrup: Warum sollte ich? Ich habe zwar in vielen Veröffentlichungen gewarnt und bin bestätigt worden, aber ich weiß auch, was jetzt Schlimmes auf uns zukommt. Und wer, und das ärgert mich besonders, die Suppe auslöffeln soll.
Die Krise hat gezeigt, dass der blinde Glauben an die Märkte in die Irre führt. Jetzt erobert sich die Politik das Primat des Handelns zurück. Manche sprechen gar von der Chance auf einen New Deal.
Dafür sehe ich nicht die geringsten Anzeichen. Zuerst hat die Politik versagt, indem sie sich am Neoliberalismus orientiert und die Steuerungsebene und damit den Staat weitgehend abgeschafft hat. Nun versagt der sich selbst überlassene Markt, und wir lassen die gleichen Politikversager noch einmal machen - und dann soll alles wieder gut werden? Schauen Sie sich nur das aktuelle Wahlprogramm der FDP an. Weiter Neoliberalismus pur. Unfassbar!
Weltweit werden Konjunkturprogramme aufgelegt und Banken verstaatlicht. Ist das keine Verbesserung?
Nicht, so lange die Wirtschaft nicht tatsächlich demokratisiert wird. Und die Basis dafür ist die Einzelwirtschaft. Wenn der Staat eine gesamtwirtschaftliche keynesianische Politik macht, muss er die Unternehmen erreichen. Aber das Kapital, das hier das alleinige Sagen hat, wehrt sich dagegen. Und daran ändert sich auch nichts, wenn Unternehmen wie jetzt die Banken verstaatlicht werden. Nehmen Sie doch nur mal die Deutsche Bahn AG, die zu 100 Prozent dem Staat gehört.
Immerhin wird das Management vom Staat bestellt.
Und sind die Prozesse damit demokratisiert? Nein. Auch die Formel bei verstaatlichten Unternehmen muss lauten: Verstaatlichung plus Demokratisierung. In den Unternehmen müssen endlich die drei Produktionsfaktoren Arbeit, Naturgebrauch und Kapital rechtlich gleichgestellt werden.
Die Forderung nach mehr Wirtschaftsdemokratie ist alt. Warum sollte sie ausgerechnet jetzt Gehör finden?
Weil sich gezeigt hat, wohin es führt, dass das Kapital ein einseitiges Diktat durchgesetzt hat. Mich ärgert aber auch, dass es nicht einmal einen Diskussionsprozess gibt.
Wer sollte den vorantreiben? Die Gewerkschaften?
Das sehe ich in der Tat als ihre Aufgabe. Ich verstehe nicht, das sie die Forderung nach einer Demokratisierung der Wirtschaft nicht ganz deutlich auf ihre Fahnen schreiben. Sie müssten die politischen Parteien vor sich her treiben. Wenn sie es nicht tun, wird auch von der Politik nichts kommen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Gewerkschaften dies nicht tun?
Die Gewerkschaften stehen vor dem Hintergrund von 30 Jahren Massenarbeitslosigkeit mit dem Rücken zur Wand, sie haben 30 Jahre gekämpft und nicht mal den verteilungsneutralen Spielraum für sich verbucht, die Tarifverträge sind ausgehöhlt, acht Millionen Menschen in Deutschland leben von Hartz IV. Da ist es schwer, ein Grundsatzthema wie Wirtschaftsdemokratie ins Spiel zu bringen.
Dann mal konkret: Wie sollte Wirtschaftsdemokratie aussehen?
Die Form der wirtschaftlichen Partizipation ist die unternehmensbezogene Mitbestimmung, also die Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Da reichen die heutigen Mitbestimmungsgesetze nicht aus, von denen ohnehin nur eines, das Montanmitbestimmungsgesetz, eine echte, eine paritätische Partizipation erlaubt. Paritätische Mitbestimmung muss für alle Branchen und unabhängig von der Rechtsform für alle großen Unternehmen ab 500 Beschäftigte die Grundlage sein.
Wer gehört in den Aufsichtsrat?
Da würde ich differenzieren. Bei einer Kölner Klömkesfabrik reicht es, wenn das Verhältnis von Kapital und Arbeit stimmt, damit die Menschen in den Unternehmen, die den Mehrwert schaffen, über die Erwirtschaftung und die Verwendung der Wertschöpfung wirklich gleichberechtigt mitentscheiden können. Bei Unternehmen dagegen, die für den Bereich der Daseinsfürsorge - beispielsweise Energie, Wasser, Gesundheit - verantwortlich sind, muss zusätzlich die Öffentlichkeit einbezogen werden. Bei Energieunternehmen also etwa Umweltschutzverbände.
Was ist mit den Banken?
Auch ein funktionierendes Finanzsystem ist eine öffentliche Aufgabe: Die Banken müssen die Wirtschaft mit Geld versorgen und die Einlagen der Sparer sichern. Also müssen Banken erstens verstaatlicht und zweitens demokratisiert werden. Hier wäre der Staat als Gesellschafter schon mit im Aufsichtsrat. Aber es müssten auch noch die Sparer hinzukommen. Bislang geben die ihr Geld in Form von Einlagen in der Bank ab - und sind dann völlig entkoppelt davon, ob diese damit Kredite an Rüstungsfirmen oder für andere schmutzige Geschäfte vergibt oder das Geld ethisch sauber investiert. Die Vertretung im Aufsichtsrat könnten dann Verbraucherschutzverbände übernehmen.
Die Bundesregierung diskutiert die Mitbestimmung derzeit nur unter dem Aspekt der verbesserten Kontrolle. Sie will der Finanzaufsicht die Möglichkeit geben, "ungeeignete" Banken-Aufsichtsräte abzuberufen.
Richtig daran ist, dass die Qualität der Arbeit in den Kontrollgremien verbessert werden muss. Und zwar sowohl auf der Arbeitnehmer- wie auf der Kapitalseite. Es kann nicht sein, dass dort Menschen sitzen, die nicht mal in der Lage sind, eine Bilanz zu lesen. Auch die zusätzlichen öffentlichen Sitze müssten mit Fachleuten besetzt werden. Man braucht eine Art Qualitäts-TÜV.
Sollte der auch eingreifen, wenn einem Aufsichtsratsmitglied vorgeworfen wird, bewusst einen Interessenkonflikt einzugehen?
Ein Qualitäts-TÜV sollte ausschließlich bewerten, ob jemand Fachkompetenz hat. Aber was meinen Sie mit Interesssenkonflikt?
Frank Bsirske beispielsweise muss sich immer wieder sagen lassen, er könne nicht im Aufsichtsrat der Lufthansa sitzen, wenn er zugleich als Verdi-Vorsitzender Streiks der Beschäftigten organisiert.
Warum soll nicht ein Arbeitnehmervertreter die Interessen der Arbeitnehmer eines Unternehmens im Aufsichtsrat vertreten? Dazu ist er doch da, das ist seine Schuldigkeit. Ihn dafür anzugreifen, ist schon sehr verwegen. Er muss natürlich das Ganze sehen - wie übrigens auch die Vertreter der Kapitalseite. Wenn diese den Faktor Arbeit schlecht bezahlen und damit die Beschäftigten demotivieren, dann schaden sie dem Unternehmen. Die Antagonisten sollen sich in diesem Gremium ja gerade austarieren, zum gleichberechtigen Wohl aller.
Die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände diskutieren eine Verkleinerung der Aufsichtsräte, weil ihnen die Entscheidungsprozesse zu lange dauern.
Klar, ein Diktator hat es einfacher. Er kann aber auch enormen Schaden anrichten. Demokratische Prozesse dauern ein bisschen und manchmal viel länger. Dafür bringen sie in der Regel auch wesentlich bessere Ergebnisse. Keiner ist schließlich so klug wie alle. Man braucht interne Vertreter, die sich im Unternehmen auskennen, man braucht externen Sachverstand. Dazu ist die jetzige, nach Unternehmensgröße abgestufte Ordnung mit bis zu 20 Mitgliedern oder, wie in der Montanindstrie, 21 Mitgliedern auch richtig. Um zu rationalen, guten Ergebnissen zu kommen, plädiere ich außerdem für mehr Sitzungen als die vier, die heute üblich sind.
Das dürfte für manchen aktiven Vorstand, der in etlichen Aufsichtsräten anderer Unternehmen sitzt, stressig werden.
Das soll es auch. Dass wir heute die Regelung haben, dass ein Aufsichtsratsmitglied insgesamt bis zu zehn Mandate haben darf, ist Irrsinn. Es sollten höchstens zwei sein. Auch das ist eine Form von Qualitätssicherung.
Die meisten Menschen arbeiten nicht mehr in Großunternehmen, wenn sie überhaupt Arbeit haben. Kann man angesichts dieser wachsenden Prekarisierung tatsächlich über mehr Mitbestimmung Wirtschaftsdemokratie schaffen?
Anders herum ist es richtig: Weil wir keine demokratisierte Wirtschaft haben, hat es das Kapital überhaupt vermocht, für eine gigantische Umverteilung von unten nach oben zu sorgen und dass durch eine Prekarisierung immer mehr Menschen an den Rand gedrängt werden. Hätten wir eine demokratisierte Wirtschaft, wäre das gar nicht möglich gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz