Ökolumne: Miese Patente
■ Internetnutzer könnten die Verlierer des Rechtestreites sein
Die Welt der Wirtschaft wird immer stärker liberalisiert, entfesselt zum Wohle der Menschheit, so die Binsenweisheit. Doch ausgerechnet in den boomenden, angeblich ach so wilden Bereichen von Software und Internet geht der Trend in die entgegengesetzte Richtung: Die seit Jahren aktiven Verfechter des Prinzips der freien Software, die ihre Programme vollständig in das weltweite Netz stellen, so daß jeder sie gratis nutzen oder weiterentwickeln kann, werden zunehmend in ihrer Arbeit behindert. Und zwar durch die in den USA übliche Patentpraxis: Dort werden nicht nur bestimmte Programmzeilen urheberrechtlich geschützt, sondern gleich die zugrundeliegenden „Ideen“ von Firmen patentrechtlich vereinnahmt. Eine „Idee“ wäre dabei zum Beispiel, Musik komprimiert über das Internet zu vertreiben. Selbst der Erfinder einer neuen Software für den Vertrieb von Musik im Internet kann in Konflikt mit dem Patent kommen, weil ja schon der Vorgang des Vertreibens geschützt ist.
Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, daß jeder seine Programmierarbeit hinterher ohne Lohn ins Internet stellen muß. Er kann auf seine Arbeit den Urheberrechtsschutz in Anspruch nehmen wie der Komponist eines Songs oder ein Gedichteschreiber. Hätte sich aber irgendwann ein solcher Gedichteschreiber die Form des Sonettes patentieren lassen, wir wären wohl nie in den Genuß der Shakespearschen Sonette gekommen.
Bisher kann der ehrenhafte europäische Softwarekönner achselzuckend weiterhacken. Schließlich sind im Europäischen Patentübereinkommen mit dem Artikel 52 Patente auf Software-Ideen ausdrücklich nicht erlaubt. Doch Japan hat die US-Patentpraxis bei Software weitgehend übernommen. Und die Europäische Union ist gerade dabei, ihr Patentrecht zu modernisieren.
Hier gilt es, den Regierungen und der Europäischen Kommission (zuständig ist die Generaldirektion XV) auf die Finger zu schauen. Die Haltung der Software-Gemeinde dürfte eine ausschlaggebende Rolle spielen – die Industrie steht nämlich keineswegs geschlossen hinter den Patenten: Software-Firmen, vor allem diejenigen, die sich nicht seit Jahrzehnten alles mögliche patentieren lassen, fürchten die vielen juristischen Fallstricke, die mit einer flächendeckenden Patentierung der Branche einhergehen. Um ein Programm zu vermarkten, könnte bald mehr Zeit und Geld in Lizenzverhandlungen mit Patentanwälten als in das Schreiben von Software fließen.
Es gibt schon einige Websites, die sich des Themas annehmen, eine wäre www.freepatents.org. Immer was Neues steht auch bei den Altmeistern des Genres, der Liga für Freies Programmieren, unter lpf.ai.mit.edu.
Kann sich Otto-Normal-User bei der Patentierung noch herausreden, daß sie ein Problem von Firmen und Freaks bleibt, so wird ihn allerdings eine Entwicklung in einem verwandten Gebiet mit Sicherheit treffen: die Bemühungen der Medienindustrie, ihr Urheberrecht im Internet und mit stark verfeinerten Methoden durchzusetzen. Texte, die sich nur nach Zahlen einer Gebühr lesen lassen, Musikstücke, die sich nur gegen Überweisung von Electronic cash über das World Wide Web an den Musikkonzern auf die heimische Festplatte überspielen lassen – die Industrie erprobt derzeit viele Möglichkeiten. Einige davon stehen bei den Riesen der Branche wie AT&T, Microsoft oder Xerox schon kurz vor der Marktreife.
Damit haben die Multimediariesen dann gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die bisher ärgerlichen Raubkopien in digitaler Qualität bringen ihnen endlich Geld ein. Und sie müssen den Vertrieb noch nicht einmal bezahlen. Gleichzeitig erhalten sie – wenn sich ihre Vorstellungen durchsetzen – über die zahlreichen Abrechnungen, die bei ihnen eingehen, ein lückenloses Bild vom Kaufverhalten ihrer Kunden. Davon träumen Marketingabteilungen schon lange.
Hier wird es für die Gegner des totalen Urheberrechtsschutzes wesentlich schwerer als bei der Patentierung, auf die anstehenden Entscheidungen Einfluß zu nehmen. Denn die Einigkeit unter den Lobbyisten der Industrie steigt mit dem erwarteten Profit.
Es wird also Zeit, daß sich Datenschützer und Webnutzer zusammentun. Es muß ja keiner mehr auf zeitraubende Bundestreffen fahren, wie das bei den Anti-Atom-Leuten oder anderen Bewegungen der Fall war und ist. Heutzutage sind ja alle potentiellen AktivistInnen virtuell vernetzt, oder? Reiner Metzger
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