■ Ökolumne: Der Bioladen — ein Dilemma Von Caroline Fetscher
Der Bioladen ist der Laden einer Generation. Er markiert eine ökonomische Spur, die die Leute zwischen den Revolten — zu jung für Achtundsechzig, zu alt für Punk — seit den Siebzigern ins Land gekerbt haben. Ein ambivalenter Ort. Wer nicht zu den völlig hartgesottenen Karotten zählt, fühlt sich dort immer leicht unwohl. Man will „unbelastete Nahrung“ kaufen, aus klarem Egoismus, und vielleicht, um „die Ökobauern“ zu unterstützen. Soweit scheint alles okay auf dieser ökonomischen Insel jenseits der Barcodes, Umpackkassen und Laserscanner. Andererseits: Dieses Birkenstock-sandalige, an die Reformbewegung der zwanziger Jahre und auch an die Scholle der Dreißiger und Vierziger erinnernde Flair, das der Ort immer noch ausdünstet, wie ein schweres, kartoffeliges Tier, das den Winterschlaf der Geschichte schläft: Gänsehaut.
Nun gibt es inzwischen jene Bioläden, deren Gesicht sich bereits zaghaft das Make-up der Warentempel unserer offiziellen Wirtschaft zulegt. Doch auch hier ist auf dem Beipackzettel von „Dr. Hauschkas Naturkosmetik“ zu lesen, Fältchen seien natürliche „Gesichtsrunen“, die man nicht auf Gedeih und Verderb zu glätten trachten solle. Da war ja auch gar nicht dran gedacht, und die Natur mag von mir aus versuchsweise mit Paracelsus als „Chiffrenschrift“ gelesen werden. Aber — „Gesichtsrunen“? Der Bioladen scheint so nah an der Scholle, wie Semitophilie am Antisemitismus.
Im Gegentempel zum profanen Supermarkt, wo jedes Gramm Erde am wertvollen Weißkohl mitgewogen wird, muß um die Kunden nicht geworben werden. Die Ware ist so gut, daß ihr Warencharakter nahezu aufgehoben erscheint. Wer wollte da über Preise meckern. Doch Verkäufer und Betreiber der Bioläden plagt dasselbe böse Gewissen. Sie müssen die Lüge verkaufen, daß sie angeblich keine Lüge verkaufen und diesen Zwiespalt vor ihrem biodynamischen Moralempfinden ständig verbergen. Der Bioladen — ein Dilemma.
Woher stammt es? Und worum ging es unserer Generation beim Einrichten der Bioläden? Ging es vielleicht darum, „das Gift“ der Gesellschaft der Eltern und Großeltern nicht kaufen zu wollen: „Das kaufen wir Euch nicht ab“? In der „Mandelhonigschnitte, Zutaten aus biologischem Anbau“ schmeckt man vielleicht noch den süßlichen, linksalternativen, deutschen Empörungsgenuß heraus: Da seht ihr mal, euer Kuchen mundet nicht, eure Äpfel sind vergiftet, böse Stiefmütteräpfel. Der Bioladen, so konkret und dynamisch er sich tarnt, ist eine Abstraktion, eine indirekte Aussage. Warum sind es gerade die Leute zwischen den Revolten, die oft so indirekt agieren?
Wenn die Geschichte, das Geschichtete, in seinen Straten und Strömungen ein Gedächtnis für Vergiftungen hat wie das Meer, dann spült sie dieses Gift womöglich verzögert an die Küste der Jetztzeit. Plötzlich sterben Fische, doch der oilspill, das Einleiten von Schadstoffen ins Gewässer, ist schon viele Jahre her. Liest man das Gift in dieser Doppeldeutigkeit, dann sieht man womöglich, daß es die Kinder des Wirtschaftswunders waren, die es von ihren Eltern geerbt haben. Es war: das unsichtbare Gift.
Als die Eltern am meisten Erinnerung ins Abseits drängten, die Barbarei nurmehr ein „Alptraum“ war, und als also der totale Krieg total tabu wurde, um hinter den Fassaden des Wunders der Wirtschaft zu verschwinden, bekamen die Kinder den meisten Seelenmüll aufgedrängt: unsichtbares Gift. Sie nahmen es auf, ohne es abbauen zu können. Sie waren die Giftzwerge. Und die Riesenretter im doppelten Sinne. Sie waren schuld. Draußen blühten die Nierenstillampen und im Keller schleuderte die neue Waschmaschine. „Vater fährt Auto. Mutter kauft ein“, waren die ersten Sätze in meinem ABC-Schützenbuch im Taunus, 1963. Es schrieb die Kehrseite der Hölle.
Das würde erklären, warum „Vater“ und „Mutter“ ihre Erinnerungen an die Barbarei da deponieren mußten, wo junge Wesen waren, frisch und aufnahmefähig. Die Eltern hatten alle Hände voll zu tun, die Kleinen wurden kollektiv belastet. Sie haben so ihre Eltern gerettet, ehe sie anfingen, die Erde zu retten. Ein Generationenvertrag wurde geschlossen. Im symbolischen „Kampf gegen das Gift“ waren die Jungen längst Experten, noch ehe die Öko-Welle ans Gestade der Gegenwart schlagen sollte. Schließlich zeigt sich in diesem Licht der deutsche Bioladen als eines der Symptome für reale Schuld-Sühne-Konstrukte, so perfid verwandt mit der deutschen Scholle wie Semitophilie mit Antisemitismus. Er ist ein Kompromiß. Imaginäres und Symbolisches vermischen sich in ihm. So zeigt er sich als einer der vielen Spiegel der dauernden Verdrängung eines alten Konflikts. Vielleicht kann erst, wo die Isolation (die Inselfantasie) des Bioladens als Symbol verstanden wird, der Bioladen aus der Geschichte verschwinden? Sicher täte es ihr gut. Und die Urheber des „Bioladens“ könnten eine verspätete Revolte feiern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen