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■ ÖkolumneHeilbronner Verhältnisse Von H.-J. Tenhagen

Donata schnieft, Hermann hustet und Nicola ist auch schon ganz krank. Berliner Sommer. In den taz- Büros schwitzen die KollegInnen. Die Biergärten sind überfüllt – die Temperaturen steigen, die Ozonwerte auch, und die Benzolwerte sind sowieso ganz oben. Die Krebsgefahr ist unsichtbar, aber omnipräsent. Wir schwitzen, wir husten, aber es ist zu warm zum Denken. Empfindliche Menschen werden im Rundfunk vor körperlichen Anstrengungen gewarnt, weil die Ozonwerte den Wert von 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft überschreiten. Die Arbeitsschutzverordnung sieht vor, daß bei 200 Mikrogramm Ozon am Arbeitsplatz eigentlich Schluß sein müßte mit dem Schaffen. Machen wir die Zeitung dicht?

Nein, denn der Sommersmog ist unser Schicksal und berechtigt nicht zur Arbeitsverweigerung. Kommunal- und LandespolitikerInnen jeglicher Provenienz erklären uns ganz unschuldig, sie wollten ja gern etwas gegen den Sommersmog tun, es sei aber so schwierig, die Bundesregierung müsse Vorgaben machen, nur im eigenen Bereich nützten Maßnahmen ohnehin nichts. Kein Aufschrei bei uns – ein Kollege, gerade von einer Atemwegserkrankung genesen, leidet immer noch an Sauerstoffmangel im Gehirn und philosophiert über den neuen Billigflugtarif der Lufthansa.

Unbestritten mutet der Autoverkehr Kindern, Erwachsenen und schniefenden JournalistInnen in den Städten erhebliche Gesundheitsgefahren zu. In Köln haben Schulkinder 70 Prozent mehr krebserregendes Benzol im Blut als ihre AltersgenossInnen 60 Kilometer weiter auf dem Lande. WissenschaftlerInnen rechnen vor, daß die Ozonwerte jedes Jahr im Schnitt zehn Prozent zunehmen, daß sie heute im Sommer fünfmal so hoch sind wie zur Jahrhundertwende und daß sogar die Getreideernten deswegen schon zurückgehen.

Aber die Eltern von Köln blockieren noch nicht die Ausfahrten des dortigen Autobahnrings. Transparente mit der Botschaft, wir lassen uns nicht vergiften, sucht man über den Hauptverkehrsstraßen vergeblich. Der Bauernverband, der die Autoindustrie wegen der Ernteausfälle verklagt, muß noch erfunden werden. Opfer und Täter leben in einer symbiotischen Beziehung. Der Vater des asthmakranken Kindes eilt täglich mit dem Auto zur Arbeit, die Familie packt am Wochenende die Badehose in den Kofferraum.

Um tief durchzuatmen, fahren wir ins Grüne. Manche in Berlin noch mit der S-Bahn, die meisten aber quälen sich Freitag- und Sonntagnachmittag in kilometerlangen Autoschlangen aus der Stadt zur Datsche und zurück. Dabei: Autobahnen können gesperrt werden, ohne daß diese Gesellschaft zusammenbricht. Innenstädte können, zumal am Wochenende, autofrei bleiben. An den Stadtgrenzen könnten die Schlagbäume heruntergelassen werden, der Regierungspräsident in Köln denkt seit Jahren öffentlich über diese Möglichkeit nach. Busse und Bahnen könnten vermehrt verkehren – auch zum Baggersee – und Industriebetriebe ihren Teil an der Dunstglocke über den Städten verringern. Solchen Aktivitäten steht die Symbiose von Tätern und Opfern auch gar nicht entgegen. Es ist die Struktur unserer Kommunen, die den mosernden Einzelhändler, der um den parkenden Kunden vor seiner Tür bangt, allemal wichtiger erscheinen läßt als die Familie mit dem asthmakranken Kind. Einzelhändler und Autohändler füllen den Stadtsäckel mit ihrer Gewerbesteuer, die Steuern der Familie gehen anderswo hin. Das läßt sich nur langsam vom Kopf auf die Füße stellen. Am meisten verspricht deswegen vorläufig die Heilbronner Ozon-Zange. Von oben muß der Minister drohen und von unten das Volk murren. Wenn ein Gutteil der Autos zu Hause bleibt, auf den Autobahnen geschlichen wird und die Industrie die Produktion drosselt, hilft das beim Durchatmen allemal. Mehr Sauerstoff im Gehirn regt ganz offensichtlich die kleinen grauen Zellen auch bei Sommerhitze an, und siehe da, die BürgerInnen fordern sogar mehr davon. In Heilbronn ist an einem Wochenende praktiziert worden, was im Sommer in diesem Lande die Regel sein müßte. Frischluft in die Redaktion, Heilbronner Verhältnisse auch nach Berlin.

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