■ Ökolumne: Kriechspuren Von Thomas Pampuch
Bayern hat die Alpen, und Bayern hat ein Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen. In den Alpen fährt man – wenn es denn möglich ist – Ski, und im Ministerium macht man sich – wenn es denn möglich ist – seine Gedanken. Nicht immer die schlechtesten übrigens, wie ein Blick in eine Verlautbarung des Ministeriums zeigt. „Vollzug der Naturschutzgesetze; Beschränkung des Skisports zum Schutze von Natur und Landschaft“ ist sie betitelt, und selbst hartgesottene UmweltschützerInnen müssen zugeben, daß darin durchaus Fraktur geredet wird: „Zur Verhütung von Schäden, die durch das Pistenskifahren selbst entstehen, kann die untere oder höhere Naturschutzbehörde das Skifahren auf bestimmten Pisten oder Pistenabschnitten nach Art.26 Abs.1 Bay Nat SchG untersagen.“ Insbesondere dann, „wenn auf wesentlichen Pistenteilen die Schneedecke im präparierten Zustand weniger als 20 cm beträgt“. Und auch zum Einsatz motorisierter Schneefahrzeuge zur Pistenpflege äußert sich das Ministerium: Er „bedarf gemäß Art.12 Abs.2 Bay ImSchG einer Ausnahme“. Um „Erosion und Vermurung zu verhüten“, kann diese Ausnahme „mit der Bedingung verbunden werden, daß ein motorisiertes Pistenpflegegerät bei geringer Schneelage (...) nicht eingesetzt werden darf“. Auch Pistenraupen müssen bei weniger als 20 Zentimeter Schneedecke zu Hause bleiben.
Versteht jemand die juristischen Abkürzungen nicht? Macht nichts. Gut gebrüllt, bayerischer Löwe! Möchte man rufen. Aber er ist ein Papiertiger. Leider. Denn diese Raupen stellen, wie jeder weiß, der einmal ihre Kriechspuren im Sommer gesehen hat, eine arge Landplage dar – im wahrsten Sinne des Wortes. Etwa 30.000 dieser tonnenschweren, stinkenden Ungetüme walzen während der Skisaison das Alpengras platt. Wie Beton liegt der Schnee nach solcher Preparierung auf der Vegetation, der Boden gefriert zentimetertief und taut im Frühjahr sehr viel langsamer auf. Kommt dann bei geringer Schneehöhe noch die „Stahlkantenrasur“ durch die Skifahrer hinzu, braucht es niemanden zu wundern, daß sich die älpischen Gastwirte bereits im Frühjahr wieder nach dem Schnee sehnen, der alles so gnädig verhüllt. Manchmal so sehr, daß sie selbst vor Schneekanonen nicht zurückscheuen, die mit irrsinnigem Aufwand an Wasser und Strom Kunstschnee produzieren. Der freilich ist weitaus dichter und kompakter als Naturschnee und legt sich wie ein weiteres Betonband auf die geschundene Vegetation.
Aber der echte Schnee kommt ja hundsverreckterweise immer weniger. Das heißt, die Sünden des Winters werden Jahr für Jahr offenbarer. Und da erweist sich, daß das Ministerium mit allen seinen Verordnungen schließlich doch vor fast jedem Liftbetreiber in die Knie geht. Insonderheit vor jenen großen Energieunternehmen, die mit Liften, Raupen und Kanonen die Alpen zum Hochenergie-Gebirge ummodeln, daß die Muren nur so krachen. Kaum jemand kontrolliert die Durchführung der edlen Gesetze. Jedem Idiotenhang- Tomba sind die braunen, erdigen Buckel bekannt, die er für seine teure Tageskarte selbst bei minimaler Schneedecke noch weiter abkratzen darf: Hauptsache, der Skibetrieb läuft.
Schlimmerweise helfen viele kleine Gemeinden auch noch kräftig beim Abkratzen der Alpen mit. Und statt zu jubeln, wenn einer aus ihrer Mitte endlich einmal halt! ruft, regen sie sich auf, und das nicht zu wenig. So geschehen zu Bayrischzell, wo – wie berichtet – der Almbauer Josef Lärcher seine Almwiesen unterhalb des Wendelsteins für Schlepplift und Piste sperrte. Ihm gefiel es nicht, daß die mächtige Wendelsteinbahn AG (Besitzer: Lechwerke und RWE) Jahr für Jahr seine Wiesen immer mehr planierte und sich einen Teufel um die Ski-, Raupen- und Liftschäden scherte: Er erneuerte den ausgelaufenen Pachtvertrag mit dem Unternehmen nicht. Und jetzt hat er jede Menge Ärger, weil sowohl die AG wie die Gemeinde Bayrischzell so einen Quertreiber nicht dulden wollen. Sollte Lärcher den Prozeß um die Rechtmäßigkeit seines Ausstiegs verlieren, drohen ihm absurde Schadenersatzforderungen – nicht etwa, weil er Schäden verursacht hat, sondern weil er sie verhindert.
Was nützt das saubere Papier des Ministeriums, wenn jeder, der sich daran hält, fertiggemacht wird? Oder gilt in den Alpen der Artenschutz nur für Pistenraupen und Pistensäue?
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