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■ ÖkolumneVerkehr neu erfinden Von Andreas Knie

Aus welchem Jahr mag wohl das folgende Zitat stammen: „Damit die Leute auf ihr Auto verzichten können, genügt es ganz und gar nicht, ihnen bequemere Massenverkehrsmittel anzubieten. Ihnen muß der Zwang zum Verkehr genommen werden, indem sie sich in ihrem Stadtviertel, ihrer Gemeinde, ihrer Stadt auf menschlicher Ebene zu Hause fühlen und von ihrer Arbeit mit Vergnügen zu Fuß nach Hause gehen – zu Fuß oder allenfalls ihr Fahrrad besteigen.“ Dieses Zitat stammt aus dem Jahre 1973, geschrieben hat es der französische Philosoph André Gorz.

Seit über 25 Jahren sind die Probleme des Verkehrs bekannt. Daß Autofahren schlecht ist für die Umwelt, U-Bahnen und Straßenbahnen besser sind und Zufußgehen das größte ist, wissen wir. Die Bilanz im Jahre 1996 aber fällt ernüchternd aus: die Pkw-Zulassungen steigen weiter.

Warum ist das so? Das Umsteigen auf die Busse und Bahnen klappt nicht, die Anteile des öffentlichen Verkehrs gehen weiter zurück. Kleine Hoffnungsschimmer aus Freiburg oder Zürich taugen nicht als Gegenbeispiele. Absolut gesehen, fahren auch in diesen Städten jedes Jahr immer mehr Autos. Es geht mittlerweile gar nicht mehr darum, VerkehrsteilnehmerInnen, die vornehmlich das Auto benutzen, auf die Schienen und in die Busse des öffentlichen Verkehrs zu locken. Nein, die Situation hat sich in den großen Ballungszentren längst zugespitzt: Wie können wir die Anteile des öffentlichen Verkehrs zukünftig noch halten? Freiwillige Fahrgäste gibt es bald keine mehr, sondern nur noch Kunden, die keine Wahl haben.

Öffentlicher Verkehr – und da führt kein Weg dran vorbei – muß neu erfunden werden. Das, was wir zur Zeit haben, ist gut 100 Jahre alt und im wesentlichen „Transport in Großgefäßen“, wie der Berliner Verkehrsforscher Heinze immer wieder kritisiert. Brauchbar, um möglichst viele Menschen in kurzer Zeit auf festen Routen von A nach B und wieder von B nach A zu befördern. Dies entsprach der Situation am Anfang unseres Jahrhunderts.

Die Zeiten haben sich drastisch geändert. Noch nicht einmal 20 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Normalarbeitszeitverhältnissen. Die überwiegende Mehrzahl übt sich in Gleitzeit, Teilzeit oder unfreiwilliger Freizeit. Die Bedürfnisse der Menschen sind auch andere geworden. Die alte Idee, mit einer Stadt der kurzen Wege viel unnützen, sogenannten Zwangsverkehr abzubauen, stößt aber nicht immer und überall auf ungeteilte Freude. Das Bremer Projekt des autofreien Wohnens ist beispielsweise auch deshalb gescheitert, weil viele potentielle Bewohner die Gefahr eines oktroyierten Gemeinschaftsgefühls fürchteten.

Das sind Entwicklungen, die für einen sehr privat organisierten öffentlichen Verkehr sprechen. Ob dies mit einer drastisch erweiterten Taxiflotte machbar ist, wie es der Verkehrsexperte Winfried Wolf für Berlin einmal vorrechnete, oder mit neuen Formen des Autoteilens gelingen kann, ist zur Zeit noch aushandlungs- und experimentierbedürftig. Wir müssen allerdings aufhören, uns vorzumachen, die Konzepte seien längst bekannt, nur der Bewußtseinswandel der Menschen sei halt noch nicht soweit.

Gerade im Ökologiebereich herrscht oft genug ein strenger pietistischer Geist. Gut und böse, richtig und falsch sind genau definiert, Abweichungen nicht zugelassen. Neue Straßenbahnen sind gut, Elektroautos sind schlecht. Die Bahn ist Bündnispartner, Daimler- Benz dagegen Teil des „Schweinesystems“. Die Frage muß erlaubt sein: Ist es wichtiger, daß die Theorie stimmt oder daß sich etwas bewegt?

Wir wissen im Grunde noch herzlich wenig über die Motive und Bewegungsformen des Alltagsverkehr. Wir haben uns einem naturwissenschaftlichen Ökologiebegriff untergeordnet: Zahlen und Daten, Energie- und Stoffströme. Gefühle, Interessen, Routinen und Bedürfnisse kommen darin nicht vor. Es ist aber allerhöchste Eisenbahn, endlich die verkehrspolitischen Wahrheiten auf ein menschliches Maß zu reduzieren. Wir müssen neu nachdenken, ohne von Wahrheitsaposteln sofort wieder in die Schranken verwiesen zu werden. Tabus kann es dabei nicht mehr geben.

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