■ Ökolumne: Endlich arm Von Alfred Platow
Seit Jahren habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich hatte gespart für meine BAföG- Rückzahlung. 45.000 Mark sollte ich zahlen – auf einmal oder 540 Mark jeden zweiten Monat mit 0 Prozent Zinsen. Mein Finanzberater sagte damals: „Nutzen Sie das Sonderangebot des Staates monatlich zurückzuzahlen. Und legen Sie Ihre 45.000 Mark besser an. In Aktien!“
Ich, in Aktien?
Mein Geld für die Expansionsgelüste des Kapitals?
Ich ging zu meiner Sparkasse und tat es. Heimlich kaufte ich Aktien-Investmentfonds. Internationale Aktien wollte ich. „Vielleicht etwas mit Dritte Welt oder so“, sagte ich. „Alles drin“, sagte mein Finanzberater mit einem Lächeln in der Stimme.
Und weg waren sie, meine 45.000 Mark. Dann kam Post. Sogar aus Amerika, viele Kontoauszüge. Papiere für das Finanzamt. Ich verlor den Überblick. Da gab es viele neue Begriffe. Wie zum Beispiel den des Dow- Jones.
Ich rief meinen Finanzberater an: „Was soll ich jetzt machen?“ – „Wissen Sie“, sagte der Mann (aber ich wußte ja gerade nicht), „Sie müssen jetzt erst mal alles vergessen und nur noch vorwärts schauen. Wenn der Dow-Jones auf 2.000 gestiegen ist, dann rufen Sie mich wieder an.“
Vorwärts und nicht (alles) vergessen. Das kannte ich. Da wußte ich, was damit gemeint war. Aber der Dow-Jones bei 2.000? Ich vergaß.
Und dann Mitte der 80er Jahre wurde ich hellwach. Das Titelbild einer Spiegel-Ausgabe. New Yorker Börse hat 2.000 Punkte überschritten.
„Was ist passiert?“ fragte ich meinen Finanzberater. „Moment“, sagte dieser, und ich hatte das Gefühl er fing an zu rechnen. „Auf Ihrem Aktien-Investmentfonds haben Sie ein Guthaben von 195.000 Mark.“ Zuerst war ich erschrocken. Und dann fragte ich nur „Wieso, weshalb, warum?“ „Na ja“, sagte der Finanzberater, „Sie haben gut verdient an der Börse.“
Da meldete sich das erste Mal bei mir ein schlechtes Gewissen. War ich zu einem kleinen Ableger der Deutschen Bank geworden? Vermehrte ich mein Geld wie die Allianz-Versicherungsgruppe?
Und dann wieder das Lied: Vorwärts und nicht (alles) vergessen. Ich könnte ja spenden, zum Beispiel an Greenpeace oder die kritischen Aktionäre. Ja, das war es. Ich lasse mein Geld arbeiten wie Siemens, die Deutsche Bank und ITT. Und wenn ich dann ganz viel gewonnen habe ...?
Plötzlich 1987 an einem Freitag im Oktober der Börsencrash. Alle hatten verloren. Ich auch? Die Deutsche Bank auch? Und die Allianz? Und mein Finanzberater: „Ihr Guthaben beträgt nur noch 245.000 Mark. Schade!“
Ich lernte rechnen. Ich hatte beim Crash verloren und trotzdem Geld mehr auf dem Konto. Ich lernte verstehen. Der Gewinner ist immer das Kapital. Egal in welche Richtung sich die Welt bewegt, ob Tschernobyl oder Vietnam. Und ich fing an, meine politische Vergangenheit neu zu betrachten. Was ist aus dem geworden, für das ich mich einmal so stark engagiert hatte?
Was würde in den nächsten zehn Jahren passieren? 1997 wieder ein Börsencrash? Eins war klar. Nicht mehr die Demonstranten, nicht mehr die Politiker, sondern nur noch die Kapitalanlagen bestimmen die gesellschaftliche Entwicklung. Gibt es dann nur noch Arbeit für das Geld und nicht mehr Arbeit für die Menschen?
Ich persönlich tröstete mich mit der Hoffnung auf einen neuen großen Börsencrash. Dann wäre alles weg! Endlich arm. Auch das von Siemens und das von der Allianz.
Vor einem Jahr entnahm ich meinem Investmentkonto 100.000 DM und legte sie ökologisch an. Das war beruhigend.
Und dann: letzte Woche Freitag. N-TV, der Ticker – alles geht den Bach runter. Der Dow-Jones sinkt und sinkt und sinkt. Na ja, dachte ich. Als gestern nachmittag mein Finanzberater wieder anrief: „Nur noch 1,4 Millionen. Schade!“
Was mache ich jetzt mit meiner BAföG-Rückzahlung? Was machen Sie mit Ihrem Geld? Waren Sie heute schon bei der Deutschen Bank? Arbeiten Sie? ... Oder arbeitet nur noch Ihr Geld?
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