■ Ökolumne: Rat unerwünscht Von Hermann-J. Tenhagen
Die Bundesregierung leistet sich weise Frauen und Männer. Weise für die Wirtschaft und Weise für die Umwelt. Sie zeigt damit, sie will sich beraten lassen. Die Botschaft: Guter Rat ist uns teuer. Wenn jedoch der Ratschlag nicht so ausfällt, wie es Helmut Kohl und seine MitstreiterInnen erwarten, wird guter Rat lästig. Schon gar, wenn sich die Weisen auf das Territorium der Regierung wagen und eine demokratischere und langfristigere Politik anmahnen.
Mehr Demokratie wagen. Das ist das schlichte Motto des neuen Berichts der sieben Umweltweisen. Statt immer höhere Mauern gegen die Bürgerbeteiligung zu bauen und die demokratische Mitwirkung mit Sondergesetzen beschleunigt aufs Abstellgleis zu schicken, muß Umweltpolitik wieder mit den Menschen gemacht werden, verlangen sie. Eine lebenswerte Zukunft ist nur über Reformen zu erreichen.
Eigentlich eine Banalität. Aber im Bonner Alltag sind solche Vorschläge das Gegenteil von selbstverständlich. Wie wenig demokratisch Umweltpolitik funktioniert, läßt sich am Bundesbodenschutzgesetz zeigen. Im Frühjahr 1992, lange bevor ein Abgeordneter die Entwürfe der Regierung zu diesem teuren Problem zur Kenntnis nehmen konnte, kursierten Entwürfe eines Gesetzes in den großen Chemiekonzernen. Bayer und Co hatten Altlasten zu verantworten, die Bevölkerung unter Altlasten zu leiden. Doch die gewählten Vertreter der möglichen Opfer erfuhren spät und aus der Zeitung, was von Exekutive und Tätern beraten wurde. Undemokratisch und ineffizient ist ein solches Verfahren. Reste eines Bodenschutzgesetzes treten derzeit – sechs Jahre später – in Kraft.
Das Bodenschutzgesetz ist kein Einzelfall. Mindestens drei Viertel aller Gesetzesvorhaben entstehen heute in Ministerien und Behörden. Die sind keine Orte offener Debatte. Das verschenkt Legitimität und sorgt für Politikverdrossenheit. Die einzigen, die regelmäßig Zugang in der politischen Willensbildung finden, sind die alten Verbände mit den alten Ideen der alten Industrie.
Ein System geschlossener Türen ist zu für Kritik, für Anregungen und damit auch für Reformen. Reformstau nennt unser Präsident solch eine Struktur. Erschwerend kommt hinzu, daß der Bonner Apparat immer kurzfristiger auf tagesaktuelle politische Anforderungen reagiert, anstatt Büros, Telefone, Faxe und das Internet dafür zu nutzen, einen langfristigen gesellschaftlichen Diskussionsprozeß anzustoßen und zu begleiten. Deutsches Verwaltungshandeln schottet sich vom Bürger ab. Deutsches Verwaltungshandeln ist vertraulich, solange das Gegenteil nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Ein offener Diskussionsprozeß kann von preußischen Geheimräten nicht gedacht werden. Diese Geheimräte aber schreiben die Vorlagen der Politik. Und wer schreibt, bleibt.
Anderswo hat man die Vorteile von mehr Transparenz längst erkannt. Dänemark und die Niederlande haben ihr politisches System modernisiert. Bei aller Offenheit und Anhörung sämtlicher Einwände schaffen sie es, Entscheidungen schneller auf den Weg zu bringen und dann auch umzusetzen als Deutschland. In der Umweltpolitik haben sie nationale Umweltpläne zustande gebracht, an denen alle mitgewirkt haben und an die sich alle halten (sollen). Der US-Kongreß hat über 30 Jahre immer neue Gesetze geschaffen, die die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern verbessern und der Geheimniskrämerei staatlicher Stellen vorbeugen. Wenn eine Provinzbürgermeisterin sich mit der Mehrheit ihres Stadtrates zur Geburtstagsfeier in der Kneipe trifft, ist das eine Veranstaltung, die protokolliert und öffentlich gemacht werden muß. Schließlich könnten sie und ihre Gäste bei einigen Gläsern kalifornischen Weins Entscheidungen für die Stadt absprechen, die sonst nicht nachvollziehbar wären.
So viel Offenheit, so viel Demokratie und etwas mehr Langfristigkeit würden auch hierzulande für mehr Umweltschutz sorgen. Sie brächten auch mehr Jobs. Denn die Umweltindustrie bietet, wie selbst Ministerin Angela Merkel nicht müde wird zu betonen, heute schon mehr Arbeitsplätze als die Autoindustrie. Doch in Bonn fehlt die tägliche Frage, warum Subventionsmilliarden nicht neu, anders, demokratischer und ökologischer verteilt werden. Die Frage haben die Weisen gestellt – und warten auf Antwort.
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