Ökolumne: Von stolzen Reichen und fleißigen Armen
■ Das Volseinkommen wächst, doch nur Kapitalbesitzer profitierenn davon
Eure Armut kotzt mich an!“ Dieser Aufkleber prangte auf einem flotten Jeep in Bonn. Er zeigt die erstarkende Selbstachtung in der deutschen Leistungsträgerschaft, einen neuen Mut zur sozialen Ungleichheit. So manch ein Mitglied der Leistungselite, das sonst über den Verfall des Wirtschaftsstandortes Deutschland klagt, mag inzwischen Trost gefunden haben in der Einkommensstatistik der Bundesbank. Zwischen 1980 und 1997 ist das Volkseinkommen real um gut ein Drittel gewachsen, ist da zu lesen.
Zwar stieg der Nettolohn im Westen inflationsbereinigt in diesen 17 Jahren insgesamt nur um 1,6 Prozent. Doch die „Vermögenseinkommen und Privatentnahmen der Selbständigen“ haben sich mit einem Plus von 105 Prozent mehr als verdoppelt – und das ebenfalls nach Steuern und Inflation. Inzwischen entspricht dieses kapitalseitige Nettoeinkommen bereits 78 Prozent der Summe aller ausgezahlten Nettolöhne. Daß Rolls-Royce in deutsche Hände fiel, machte angesichts der Reichtumsexplosion durchaus Sinn.
Einer der gefälligen Leitwerte des neoliberalen Epochenwechsels ist das einfache Wort „schlank“. Schlank sein ist schön, gesund und funktional. Vom schlanken Staat ist die Rede, den es zu verwirklichen gilt, vor allem vom schlanken Sozialstaat oder – das klingt dynamischer – von seiner „Verschlankung“. Das muß einfach gut sein, schließlich ist das Schlankheitsideal geborgt aus der Welt der Laufstege. Diese Harmonie von politischer und erotischer Kultur ist an sich schon wunderbar. Wer freilich die fast noch pubertären Skelette über die Laufstege stöckeln sieht, dem fällt dazu eher das Wort „mager“ ein oder gar „Magersucht“.
Natürlich kann von einem magersüchtigen Sozialstaat nicht mal im Ansatz die Rede sein. Ein Durchschnittsverdiener muß bloß 28 Jahre arbeiten, um mit seiner Rente über das Sozialhilfeniveau hinauszukommen. Die Einschnitte beim Kranken-, Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld, die Absenkung der Arbeitslosenhilfe Jahr für Jahr um drei Prozent, Kürzungen bei Kuren oder die Anhebung des Rentenalters für Frauen um fünf Jahre – all das sind doch Peanuts für eine leistungsbereite Arbeitnehmerschaft. Armut gibt es in Deutschland dank der Sozialhilfe ohnehin nicht, wie man von Regierungssprecher Otto Hauser lernen kann.
Und so dringt Bonns Rat der Fünf Weisen darauf, den Rentenversicherungsanteil der Arbeitgeber zu streichen und Krankenkassenbeiträge unabhängig vom Einkommen festzusetzen. „Äquivalenz zwischen Krankheitsrisiko und Beiträgen“ heißt das dann. Ohnehin haben wir den niedrigsten Krankenstand seit 20 Jahren. Auch die Sozialleistungsquote in Westdeutschland ist kleiner als 1980, obwohl damals die Arbeitslosigkeit halb so hoch war. Offenbar verbessert sich die Gesundheit des deutschen Volkes derzeit rasant. Die Zahl der bewilligten Kuren hat sich binnen zwei Jahren nahezu halbiert. Das Gesundheitswesen ist inzwischen Spitze beim Anstieg der Arbeitslosigkeit. Schlank ist eben nicht nur schön, sondern auch gesund. Und so fordert der Chef der Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, Bruttolöhne bis auf 1.300 Mark abzusenken und diese Jobs durch deutliche Senkung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe attraktiv zu machen.
Gewiß stehen den rund 50 Milliarden Mark Sozialhilfeaufwendungen nach Schätzung der Steuergewerkschaft 130 Milliarden an hinterzogenen Steuern pro Jahr gegenüber. Doch keine Volksgemeinschaft gedeiht allein vom Elan ihrer Eliten. Das ist der naturgegebene Unterschied zwischen Arm und Reich: Die Einkommen der einen muß man kürzen, die der anderen aufstocken, sonst fehlt der Leistungsanreiz.
„Wer kein Geld hat, hat Sorgen, wer Geld hat, hat Angst“ – dieses persische Sprichwort gilt ja nicht für rechtsstaatliche Verhältnisse wie die unseren. Selbst wenn bei den hiesigen Reichen die Angst um sich griffe, so würde das neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt schaffen. Sicherheitstechnik könne der Exportschlager von morgen sein, jubelt Innenminister Manfred Kanther, „eine Riesenchance für die deutsche Wirtschaft“. Daß ein Teil des Volkes den anderen Teil in Schach hält, sei es hoheitlich in Grün oder im schwarzen Sheriffgewand, auch das hat als Beschäftigungsmodell seinen Reiz. Die Sorgen der Armen auf der einen Seite und die Angst der Reichen auf der anderen sorgen dann wieder für einen gewissen Ausgleich der Lebensqualität. Stefan Welzk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen