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ÖkolumneChefsache Ost

■ Die Wirtschaft in Ostdeutschland ist nur mit viel Geld zu retten

Zumindest zwei wollten ihn sich wirklich gern ans Revers heften – den Aufbau Ost. Die Verwandlung der arbeitsintensiven, im kapitalistischen Wettbewerb weit abgehängten realsozialistischen DDR-Industrie in einen innovativen, schlagkräftigen und wirtschaftsstarken Teil des sogenannten Standorts Deutschland sollte unter allen Umständen gelingen. Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, der schon den Noch-DDR-Bürgern blühende Landschaften versprach und damit die ersten gesamtdeutschen Wahlen gewann, war der eine. Gerhard Schröder ist der andere. Im richtigen Moment erklärte er den Aufbau Ost zur Chefsache – als nämlich klar wurde, dass die Regierung Kohl versagt hatte. Damit hatte acht Jahre nach Kohls Wahlsieg Schröder den gleichen Erfolg. Kaum waren die Machtverhältnisse jedoch geklärt, fiel das Thema bei beiden unter den Tisch.

Und das aus gutem Grund: Der Aufbau Ost, der seinen kurzfristigen Erfolg einzig dem Prinzip Hoffnung verdankt, taugt nicht zum Punktemachen. In der westdeutschen Öffentlichkeit gilt er bestenfalls als notwendiges Übel. Denn das Programm ist so gigantisch, dass die ökonomischen Grenzen klar zu Tage treten, zumindest was die Geschwindigkeit angeht.

Die in Sachen Produktivität in keinster Weise an westlichen Standards orientierte DDR-Wirtschaft sollte an die altbundesdeutsche, die weltweit ziemlich gut dastand, angepasst werden. Und der gesamte Lebensstandard in Ostdeutschland ebenso. Laut dem Programm der Regierung Kohl, die damals plakatierte: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ – in fünf bis zehn Jahren. Und das, obwohl klar war, dass selbst Wachstumsraten von 5, 6 oder sieben Prozent den Anpassungsprozess auf kaum weniger als 20 oder 25 Jahre verkürzen konnten. So war der völlig unrealistische Wechsel mit dem Kurs von eins zu eins eine rein politische Entscheidung ohne ökonomische Deckung.

Die auf diese Weise auch noch mit relativ hohen Lohnkosten belasteten ostdeutschen Unternehmen hatten keine Chance, sich zu entwickeln. Sie verloren ihre Märkte an die westdeutsche Konkurrenz. Die Treuhand tat ein Übriges und verscherbelte die volkseigenen Produktionsstätten an die gleiche Adresse. 85 Prozent gingen an Westunternehmen, 10 Prozent an ausländische Investoren. Bis auf Jenoptik sind heute alle Großunternehmen Tochtergesellschaften westdeutscher und ausländischer Konzerne, in denen sie – vielleicht mit Ausnahme von Opel Eisenach – zudem noch nur eine marginale Rolle spielen.

Bei den kleinen und mittleren Unternehmen ist die Situation sehr viel differenzierter, aber insgesamt können auch sie die Region nicht rausreißen. Heute erwirtschaften ostdeutsche Unternehmen gerade mal 56 Prozent des Westniveaus. Aber die Gesamtnachfrage Ost lag schon 1994 bei 84 Prozent – befriedigt werden kann sie also nur durch den Kauf von Westprodukten, was der westdeutschen Industrie einen enormen Exportüberschuss gegenüber der ostdeutschen beschert. Gleichzeitig überweisen Bund, Länder und EU jährlich rund 189 Milliarden Mark für den Aufbau Ost – brutto. Netto, hat Dieter Vesper, Subventionsexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, errechnet, bleiben nach Abzug der umgekehrt gezahlten Steuern und Beiträge rund 30 bis 45 Milliarden echte Sonderleistung. Trotzdem bleibt es beim Paradoxon: Der Westen zahlt, damit der Osten im Westen einkaufen kann.

Ändern kann sich das nur, wenn die ostdeutsche Wirtschaft gegenüber der westdeutschen aufholt, schneller wächst als diese. Das ist aber nach einem ersten Schub längst nicht mehr der Fall.

Nun gibt es drei Möglichkeiten: Wenn man die Zahlungen stoppt, fällt Ostdeutschland zurück auf den Stand von 1989. Macht man weiter wie bisher, bleibt bestenfalls alles beim Alten und die Transferleistungen müssen die nächsten 200 oder 300 Jahre weitergehen. Oder noch länger. Oder man legt ein echtes Aufbauprogramm hin – in mindestens real dreistelliger Milliardenhöhe und immer noch für eine ganze Reihe von Jahren. Nur: Das kann höchstens dann einigermaßen erträglich abgehen, wenn das Bruttoinlandsprodukt für Gesamtdeutschland so stark steigt, dass der Betrag sich relativiert. Und da ist der Bundeskanzler nicht der richtige Mann am Platz. Da müssen die echten Chefs ran. Der Herr der Zinsen bei der Europäischen Zentralbank, der Herr des Geldes im Bundesfinanzministerium und der Herr der Löhne beim Arbeitgeberverband. Duisenberg, Eichel, Hundt, packen Sie's an! Beate Willms

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