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Ökologische Rechte für Kinder eingefordert

■ Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen und SPD im Bundestag – doch die Regierungskoalition ist dagegen, auch gegen die Technische Anleitung Innenraum

Bonn (taz) – „Die Zahl der asthmaerkrankten Kinder hat sich in den vergangenen Jahren mehr als verzehnfacht“, resümierte die Abgeordnete Vera Lengsfeld (Bündnis 90/ Die Grünen) gestern in ihrer Bundestagsrede zum Thema „Kindergesundheit und Umweltbelastungen“. SPD und Bündnisgrüne hatten dazu einen Antrag eingebracht. In der BRD litten inzwischen zehn bis 15 Prozent der Kinder an der gefährlichen Atemnot, 1,2 Millionen an Neurodermitis, fast die Hälfte aller Kinder seien latente Allergiker. Immer mehr Kinder hätten Krebs. Die meisten Grenzwerte entstammten dem Arbeitsschutz und gelten für einen fiktiven 70 Kilo Durchschnittsmann. Kinder bewegen sich jedoch mehr und atmen schneller als Erwachsene, bezogen auf das Körpergewicht nehmen sie dabei erheblich mehr Schadstoffe auf. Den Giftstoffen haben sie zudem weniger entgegenzusetzen: Die körpereigenen Abwehrfunktionen sind noch nicht so stark ausgebildet, und ihre Organe können bereits im Entwicklungsstadium dauerhaft geschädigt werden.

Die Schadstoffmessungen würden der Kinderbelastung in keiner Weise gerecht, so Lengsfeld. Beispiel Verkehr: Die Meßstationen befinden sich in luftiger Höhe von drei bis fünf Metern und nicht auf Nasenhöhe der Kinder, in der Nähe der Auspüffe.

Nach den umfangreichen Anträgen zum Schutz der Kinder vor Umweltbelastungen müßten auch die Grenzwerte für Schadstoffe auf ein Maß sinken, das dem kindlichen Organismus angepaßt ist. Für Baustoffe, Textilien, Farben, Reinigungsmittel und Kosmetika müsse eine umfassende Deklarationspflicht eingeführt werden.

Ein zentraler Punkt ist für die SPD eine Technische Anleitung Innenraum, da für Innenräume bislang keine rechtlich bindenden Grenzwerte existieren. Die Anwendung der umstrittenen Pyrethroide, die in großem Umfang in Insektensprays, Holzschutzmitteln und Wollteppichen eingesetzt werden, müsse untersagt werden, bevor es zu Schäden wie bei den Vorläufern PCP und Lindan komme.

Die Anträge werden jetzt an den Gesundheits- und den Umweltausschuß überwiesen. Weder die SPD noch die Bündnisgrünen haben jedoch große Hoffnungen, daß auch nur Teile der Anträge umgesetzt würden. „Wer die Mehrheitsverhältnisse in den Ausschüssen kennt, weiß, wie die Abstimmungen ausfallen“, erklärte Renate Watermann, Umweltreferentin der SPD. Auch frühere Vorschläger zu ökologischen Kinderrechten seien bislang bei der Bundesregierung auf taube Ohren gestoßen. Im Gesundheitsministerium sieht man das anders und verweist auf Trinkwasser- und Lebensmittelgrenzwerte, wo sich die Bundesregierung auch gegenüber der EU für das Vorsorgeprinzip stark mache.

Wenig Vorsorgeprinzip klingt aus den weiteren Erklärungen der parlamentarischen Staatssekretärin des Ministeriums, Sabine Bergmann-Pohl: Nach wie vor sei umstritten, wie groß die Zahl von umweltbedingten Erkrankungen ist und wie die Zusammenhänge im einzelnen aussehen. „Wer zum Schutz der Kinder schädliche Umwelteinflüsse reduzieren will, ist auf wissenschaftlich fundierte Kenntnisse angewiesen“, schiebt Bergmann-Pohl das Problem auf die Forschung und damit auf die lange Bank. Fromut Pott

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