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„Öko-Tradition“

■ Delegation von US-Indianern auf der Durchreise in Bremen

1993, das UN-Jahr der indigenen Völker ist vorbei – und das ist auch ganz gut so. Denn gebracht hat es zumindest den Ureinwohnern in den USA nichts außer großen Worten. „Keine Aktion, keine Unterstützung, kein öffentliches Interesse“ sagt Cathy White Eagle von der indianischen Nation der Cherokee. Im Gegenteil: „Jedes Mal, wenn die US-Regierung Indianer-Gesetze macht, müssen wir sehr vorsichtig sein.“ Bobby Castillo von der Nation der Apache, der wie White Eagle dem „American Indian Movement“ (AIM) angehört, sagt es noch drastischer: „Im letzten Jahr waren die Angriffe auf uns eher stärker als vorher. Mir wird ganz anders, wenn von einer Dekade der indigenen Völker geredet wird.“

White Eagle und Castillo nutzten gestern ihren Aufenthalt in Bremen, um über die Lage ihrer Völker zu berichten. Sie sind auf dem Weg nach Genf, um dort am 14.Februar auf der UN-Menschenrechtskonferenz über den Fall Leonard Peltier zu sprechen. Peltier von den Anishinabe-Ojibwe sitzt seit 17 Jahren in den USA wegen zweifachen Mordes im Gefängnis, obwohl der Justiz angeblich keine Beweise für seine Schuld vorliegen. Die Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela, Desmond Tutu und Rigoberta Menchu haben ihn als Kandidaten für diesen Nobelpreis 1994 vorgeschlagen.

500 Jahre nach der Landung von Columbus in Amerika und 100 Jahre nach den Indianerkriegen in den USA sind die Ureinwohner Fremde im eigenen Land. AIM wurde gegründet, um VertreterInnen von über 100 indianischen Nationen zusammenzuschließen und Selbstbewußtsein und souveräne Rechte der Indianer zu stärken. „Nach offiziellen Angaben sind wir zwei Millionen, aber wenn man alle mit indianischem Blut in den Adern dazurechnet, sind wir 25 Millionen Menschen in den USA“, sagt Bobby Castillo. AIM, so sagen die beiden Delegierten, ist nicht darauf aus, die Geschichte zurückzudrehen oder auch nur Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht einzufordern: Aber die IndianerInnen wollen selbst über ihr Land und über ihre Zukunft bestimmen können und sich nicht durch den großen weißen Vater in Washington ihre Lebensweise vorschreiben lassen. „Unter Clinton ist es eher noch schlimmer geworden“, meint Castillo. „Es gibt ein neues Gesetz: drei Verstöße gegen Bundesgesetze bedeutet Lebenslänglich. Aber alle unsere Gebiete unterstehen dem Bundesrecht. Dreimal ein Auto knacken gibt dann lebenslänglich.“

„Wir müssen die Gesetze ändern, denn bisher lädt die Regierung atomaren Abfall und Giftmüll bei uns ab.“ Unannehmbar sei es auch, wenn in den USA, wo das Recht auf freie Ausübung der Religion in der Verfassung garantiert ist, indianische Riten wegen „Drogengebrauchs“ kriminalisiert würden. „Wir gebrauchen Peyote in unseren religiösen Zeremonien. Aber die Gerichte verurteilen uns wie Drogendealer.“

Cathy White Eagle organisiert mit dem „Eagle Vision Educational Network“ (EVEN) den Zusammenhalt von indianischen Gemeinschaften. Jugendliche sollen Geschichte und Philosophie ihrer Völker und damit ihre Wurzeln kennenlernen: „Unsere Kultur ist lange als primitiv abgetan worden, dabei ist sie hochphilosophisch. Wir lehren die Kinder ökologisches Denken in der Einheit mit der Erde und die Ablehnung von Drogen und Gewalt.“ Das Zusammenleben von Alt und Jung, das Bewußtwerden der eigenen Tradition zeigt große Erfolge, sagt White Eagle: „Von unserer Tradition können andere viel lernen. Ich kenne keine andere Lebensgemeinschaft, die es geschafft hat, von 100 Prozent Alkoholikern auf 95 Prozent Trockene umzuschalten.“ Bernhard Pötter

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