: Öko-Taxis in Holland
Zugtaxis erhöhen die Attraktivität der Bahn / Fahrer von „Normal“taxis wehrten sich erbittert ■ Von Harald Ronge
Hunderte wütender TaxifahrerInnen standen Anfang April im Süden von Amsterdam einer kampfbereiten Polizeieinheit des Mobilen Einsatzkommandos gegenüber. Gelbe Taxis jagten blaue Taxis, Festnahmen, Handgreiflichkeiten, schallende Megaphone hüben wie drüben. Es war die vorläufig letzte Phase des langen Widerstandes der FahrerInnen der Amsterdammer Taxicentrale (CBT) gegen ein neues Konzept der holländischen Eisenbahnen: dem Zugtaxi.
Zugtaxis, holländisch „Treintaxi“, stehen an eigens angelegten Standplätzen am Bahnhof. Die Idee verlangt dunkelblaue Mercedesse mit einem gelben „Treintaxi“-Schild auf dem Dach.
Die blauen Taxen ermöglichen sogenannte „Tür zu Tür“-Reisen:
für 5 Gulden pro Taxifahrt (umgerechnet 4,50 DM) kann sich ein Bahnreisender von seiner Haustür bequem zum Bahnhof bringen lassen und am Zielbahnhof wieder ein Luxustaxi vor die Tür seines Fitness-Centers nehmen – wo er auf einem Laufband seine Bewegungsarmut kompensiert. Die „Taxi zu Taxi“-Zugfahrt muß er natürlich außerdem bezahlen. Zugtaxi-Karten erwirbt man zusammen mit der Bahnkarte am Schalter; DauerkundInnen können Blanko-Karten zum Selberausfüllen kaufen. Der Fahrer eines Zugtaxis wartet nach dem Eintreffen des ersten Fahrgastes zehn Minuten auf weitere MitfahrerInnen. Ist diese Zeit um oder haben sich zwischenzeitlich weitere Insassen gefunden, bestimmt der Fahrer die optimale Route, wobei der Zeitverlust durch Umwege nicht mehr als zehn Minuten betragen darf. Die Taxis stehen von sieben Uhr morgens bis zur Ankunft des letzten Zuges am Bahnhof. Sind alle blauen Zugtaxis unterwegs, übernehmen gelbe Normaltaxen den Dienst.
Trotz der hämischen Bemerkungen über die Bewegungsarmut: Das Projekt ist schon deshalb zu begrüßen, weil es AutofahrerInnen in die Bahn lockt, Frauen eine sichere Heimfahrt bietet und die Auslastung von Taxis erhöht. In Zahlen: 22 Prozent aller BenutzerInnen hätten ohne das Zugtaxi ihr Auto benutzt, 60 Prozent sind Frauen, in jedem Taxi sitzen im Schnitt zwei Fahrgäste. In ländlichen Gebieten mit unzureichenden öffentlichen Verkehrsmitteln bietet das Zugtaxi erstmals eine Alternative zum Auto.
Das holländische Taxi-Wunder begann als Experiment am 1. Februar 1990 in zunächst nur 30 Städten. Die „Nederlandse Spoorwegen“ (NS) gründete zusammen mit einem Verbund von 16 Taxiunternehmern (NST) die Treintaxi VOF und spendete der Tochter zum Start 15 Millionen Gulden als Brautgabe; das Verkehrsministerium beteiligte sich ebenfalls mit 15 Millionen.
Die Treintaxi VOF schließt mit lokalen, lizensierten Taxi-Unternehmern Verträge ab. Sie erzielt ihre Einnahmen durch den Fahrkartenverkauf und aus einem Vertrag mit den Eisenbahnen; die Taxiunternehmer rechnen über ihre Karten ab. Nach den bisherigen Erfahrungen lohnt sich die Teilnahme an dem System für die Taxiunternehmer noch nicht besonders, Einnahmen und Ausgaben halten sich die Waage. Die FahrerInnen bekommen weniger Trinkgeld, einem Schaffner gibt man schließlich auch keins. Einzig imagefördernd scheint die Beteiligung am Zugtaxi zu sein.
Für die Treintaxi VOF dagegen ist das Zugtaxi ein großer Erfolg: nach drei Jahren hat es schon 5 Millionen Fahrgäste befördert; das System ist auf 81 Städte und 225 umliegende Gemeinden ausgeweitet worden, das sind 51 Prozent der holländischen Bevölkerung. In den vier großen Städten Amsterdam, Rotterdam, Den Haag und Utrecht fährt das Zugtaxi allerdings bis jetzt nur in Randbezirken, da sich die Taxifahrer in diesen Städten erbittert gegen die Einführung des Zugtaxis wehrten. 1991 blockierten sie den Eisenbahnknotenpunkt Utrecht; Unternehmen, die mit der Treintaxi VOF einen Vertrag abschließen wollten, wurden von ihren Kollegen in Den Haag und Rotterdam derartig bedroht, daß sie in letzter Sekunde von dem Vertrag zurücktraten.
Die TaxiunternehmerInnen befürchteten Einkommensverluste und kritisierten, daß Zugtaxis massiv subventioniert würden und sie mithin mit ihren eigenen Steuergeldern konkurrierten. Eine Studie aus dem Verkehrsministerium zeigt allerdings, daß in Städten mit Zugtaxi der Taxiverkehr insgesamt überproportional zugenommen hat. Die Treintaxi VOF erhält offiziell auch keine Subventionen mehr – wenn man auch die Einkünfte aus dem Vertrag mit dem Mutterunternehmen so deuten könnte. Lokale Taxi-Unternehmer meinen jedoch weiterhin, in Einzelfällen bis zu 40 Prozent ihres Umsatzes verloren zu haben.
Der letzte große Konflikt zwischen Amsterdamer TaxifahrerInnen (CBT) und Treintaxi VOF begann, als in dem Amsterdamer Vorort Amstelveen das Zugtaxi eingeführt werden sollte. Der zugehörige Bahnhof des World Trade Centers (Amsterdam-Zuid WTC) liegt auf Amsterdamer Grundgebiet. Die ersten Zugtaxis wurden blockiert, die FahrerInnen angegriffen. Für einige Tage mußte das Projekt völlig abgebrochen werden, bis Bürgermeister van Thijn eingriff. Jedes Zugtaxi wurde wie ein Staatsbesuch eskortiert, es standen bis zu 400 Mann der mobilen Einheit bereit, einige FahrerInnen wurden festgenommen. Als schließlich van Thijn noch mit dem Einzug der Taxilizenzen drohte, Verträge mit den Krankenkassen in Gefahr gerieten und ein Prozeß verlorenging, der prüfen sollte, ob die Zugtaxis den Bestimmungen für den Personentransport entsprachen, gab die CBT auf. Jetzt strebt sie sogar eine Beteiligung an dem System an. Bei dem Konflikt betraf es dabei nur einen Vorort von Amsterdam; in den Zentren der großen Städte wagt die holländische Bahn nach wie vor nicht, Zugtaxis einzuführen. Auch in Deutschland müssen wir wohl noch warten, bis das Zugtaxi hier eintrifft: der deutschen Bahn mangelt es weniger an Mut als an Geld.
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