Öko-Kriterien: Sarrazin beharrt auf billigem Kohlestrom
Klaus Wowereit fordert wie Grüne, CDU und Umweltschutzverbände vom Finanzsenator klare Öko-Kriterien bei der Strom-Ausschreibung. Doch der bleibt stur - und macht die Ausschreibung damit anfechtbar, warnt ein Juraprofessor.
8080/starweb/adis/citat/VT/16/DruckSachen/d16-0703.pdf:Beschluss des Abgeordnetenhauses (PDF)
taz-Artikel vom 15. Januar: Senat schreibt die Umwelt ab
Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) bekommt in der Auseinandersetzung um Öko-Kriterien bei der Ausschreibung des Landes-Stroms Schelte vom Chef. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat sich gegen Sarrazin gestellt: "Selbstverständlich wird das Petitum des Abgeordnetenhauses, bei der Vergabe nicht nur preisliche Aspekte, sondern auch die Frage des Ökostroms mit in die Gewichtung bei der Entscheidung einzubeziehen, vom Finanzsenator auch zu berücksichtigen sein", sagte Wowereit am Donnerstag im Abgeordnetenhaus.
Das Landesparlament hatte im vergangenen Jahr beschlossen: Bei der Entscheidung, welcher Anbieter ein Produkt an das Land verkauft, darf der Preis nicht die alleinige Rolle spielen. Öko-Kriterien wie etwa der CO2-Ausstoß müssen mit einer Gewichtung von 33 Prozent in die Entscheidung einfließen.
Doch Sarrazin will sich daran nicht halten. Unter allen Angeboten "entscheidet der Preis", bekräftigt Sarrazins Sprecherin Kristina Tschenett mit Blick auf die neu anstehende Ausschreibung des Stromliefervertrags mit dem Land Berlin. Ihr Haus will nur niedrige Mindeststandards vorgeben: Der Strom soll nicht aus Atomkraftwerken kommen, er soll keinen allzu hohen CO2-Ausstoß haben, ein Fünftel des Stroms soll aus erneuerbaren Energien kommen und die Hälfte aus Kraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung.
Den Unterschied zum Beschluss des Abgeordnetenhauses erklärt der Anwalt Jörn Schnutenhaus, Spezialist für Strom-Ausschreibungen: "Wenn man dem Abgeordnetenhaus folgt und neben dem Preis auch noch den CO2-Ausstoß als zweites Entscheidungskriterium nimmt, dann ist der Anbieter im Vorteil, dessen Strom zwar etwas teurer ist, dabei aber deutlich weniger CO2-Ausstoß verursacht." Im Ergebnis läuft es dann auf reinen Ökostrom hinaus.
Von einem "Armutszeugnis" für das Land spricht der Geschäftsführer des Berliner Landesverbandes des BUND, Andreas Jarfe. Er fragt sich: "Wie soll man dem Senat noch in der Umweltpolitik vertrauen können, wenn er sich nicht einmal an die Vorgaben des Abgeordnetenhauses hält?" Im vergangenen Jahr habe der Senat sich "noch groß als Klimaretter dargestellt. War das nur reiner Populismus?"
Auch die CDU ist auf Seiten der Umweltschützer. Der Senat solle sich "schon aufgrund der Vorbildfunktion" für Ökostrom entscheiden, fordert der umweltpolitische Sprecher der Fraktion, Carsten Wilke. Seine Fraktion hatte zusammen mit SPD, Linken und Grünen den Beschluss über die Berücksichtigung von Öko-Kriterien gefasst. Michael Schäfer, Klimaschutzpolitiker der Grünen, findet es "unglaublich, dass die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses derart ignoriert werden". Dabei wäre Ökostrom "ein so einfaches Mittel, einen relevanten Beitrag zu leisten und damit auch ein Symbol in die Stadt hinein zu senden".
Das sieht auch Damian Ludewig so, Mitglied des Sprecherinnenrates der Klima-Allianz: "Der Staat sollte seine Marktmacht auch verantwortlich nutzen und sollte die Kosten für seinen Umweltverbrauch nicht auf die Allgemeinheit und auf künftige Generationen abwälzen."
Auf ein ganz anderes Problem weist Hans-Peter Schwintowski hin, Jurist an der Humboldt-Universität: Wenn Sarrazin bei der Strom-Ausschreibung die Vorgaben des Abgeordnetenhauses nicht beachtet, könne ein Stromanbieter, der den Auftrag deswegen nicht erhält, das Ergebnis der Ausschreibung bei der Vergabekammer der Senatsverwaltung für Wirtschaft von Harald Wolf (Linkspartei) anfechten.
Dort möchte man die Strom-Ausschreibung allerdings lieber nicht kommentieren. "Unsere Vergabekammer arbeitet so ähnlich wie ein Gericht, sie wird also nur auf Antrag tätig und entscheidet unabhängig", sagt Wolfs Sprecherin Petra Schwarz.SEBASTIAN HEISER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!