Öffentlicher Beschäftigungssektor bedroht: Linkspartei auf Jobsuche
Kürzungen im Bund bedrohen den Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Berlin. Die Linkspartei versucht, ihr Lieblingsprojekt und tausende Stellen zu retten.
Um den Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) steht es schlecht. Ausgerechnet im Jahr vor der Abgeordnetenhauswahl kürzt der Bund die Mittel, mit denen auch das Vorzeigeprojekt der Berliner Linkspartei bislang finanziert wurde. Weil die Fördertöpfe schon zuvor verändert worden waren, hat sich die Zahl der ÖBS-Stellen bereits jetzt reduziert: 2009 arbeiteten 8.385 Berlinerinnen und Berliner im ÖBS, im Oktober 2010 waren es laut Senat nur noch 6.678. Mit dem Sparpaket des Bundes kommen nun noch einmal drastische Einschnitte auf das Projekt zu. Das ursprüngliche Ziel der Linkspartei, 10.000 öffentlich geförderte Jobs zu schaffen, rückt in weite Ferne.
Beim ÖBS verdienen Langzeitarbeitslose einen Stundenlohn von 7,50 Euro. Sie kommen bei einer Vollzeitstelle im Monat auf mindestens 1.300 Euro brutto. Die Jobs sind sozialversichert, die Arbeit freiwillig. Da der ÖBS keine regulären Stellen verdrängen soll, muss die Tätigkeit zusätzlich und gemeinnützig sein. ÖBS-Mitarbeiter sind Stadtteilmütter genauso wie Dolmetscher auf Ämtern oder Begleiter für ältere und behinderte Menschen. Finanziert wird das Projekt über verschiedene arbeitsmarktpolitische Instrumente des Bundes, das Land legt zusätzlich Geld obendrauf.
Das Sparpaket des Bundes sieht nun starke Einschnitte vor allem im Bereich der Eingliederungshilfen für den Arbeitsmarkt vor. Das heißt für Berlin, dass die bisherigen Mittel von 677 Millionen Euro im kommenden Jahr um 200 Millionen Euro gekürzt werden, sagt Anja Wollny, Sprecherin der Arbeitsverwaltung, gegenüber der taz. 30 Prozent weniger Geld - das geht neben der Weiterbildung auch auf Kosten des ÖBS.
Zumal von den verbleibenden 477 Millionen Euro für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auch die vom Bund präferierte Bürgerarbeit bezahlt werden muss. Rund 2.300 solcher Stellen sollen Anfang 2011 in Berlin entstehen. Bei diesem von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) propagierten Beschäftigungsprogramm verdienen Langzeitarbeitslose in einer 30 Stunden-Woche 900 Euro im Monat abzüglich der Krankenkassenbeiträge. Bürgerarbeit setzt zudem anders als der ÖBS nicht auf Freiwilligkeit: Wer eine Stelle verweigert, muss mit der Kürzung seines Arbeitslosengeldes rechnen.
Die Linkspartei verurteilt die Bürgerarbeit eigentlich als "Beschäftigungsverhältnis zu Niedriglohnbedingungen". Ende Oktober hatte der Parteivorstand auf Bundesebene beschlossen: "Eine konsequente Ablehnung der Bürgerarbeit auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene ist für die Linke auch eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit." Um den ÖBS zu retten, wollen die pragmatischen Berliner Linken das Programm nun aber für ihre Zwecke ummünzen. "Wir würden gerne das zur Verfügung stehende Instrument Bürgerarbeit nutzen, um stattdessen existenzsichernde Arbeit zu organisieren", heißt es in einem unter anderen von Arbeitssenatorin Carola Bluhm unterzeichneten Schreiben von Anfang November.
Der Senat will den Verdienst der Bürgerarbeit aus Landesmitteln aufstocken, sodass die Beschäftigten wieder einen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde erhalten, erläutert Bluhms Sprecherin Wollny. "Dieses Geld ist im Landeshaushalt 2011 bereits für den ÖBS eingeplant. Es wäre absurd, es nicht zu nutzen." Mit der Aufstockung des Bürgergeldes wolle der Senat die Zahl der ÖBS-Stellen auf dem jetzigen Niveau halten. "Dass das ein ehrgeiziges Ziel ist, wissen wir", so Wollny. Für die Linkspartei könnte auch zum Problem werden, dass der ÖBS anders als die Bürgerarbeit nicht auf Zwang setzt. "Wir hoffen, dass die Jobcenter die Stellen weiterhin nur an Freiwillige geben", sagt die Sprecherin.
"Ob die beiden Programme miteinander kompatibel sind, muss das Bundesministerium für Arbeit entscheiden", erklärt Olaf Möller von der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Berlin und Brandenburg. Eine Sprecherin des Bundesministeriums wiederum sagt, die Jobcenter vor Ort könnten anhand der Regeln zur Bürgerarbeit selbst entscheiden. "Grundsätzlich ist eine Kofinanzierung durch das Land aber möglich."
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