Öffentliche Aufträge: Von fairen Helmen und glücklichen Putzfrauen
Ökologisch und sozial oder einfach nur billig? Politiker diskutieren, wie und wo das Land künftig seine Produkte einkauft. Linke und SPD wollen im Vergaberecht vor allem einen Mindestlohn festschreiben, die Grünen fordern mehr.
Wenn Feuerwehrleute ihre Schutzkleidung anlegen, müssen sie kein schlechtes Gewissen haben. Sie tun ihre Arbeit, die zudem ein hohes gesellschaftliches Ansehen genießt. Richtig? Nicht ganz. Berliner Feuerwehrleute sollten vielleicht doch ein schlechtes Gewissen haben, denn ein Teil ihrer Schutzkleidung wurde unter menschenunwürdigen Bedingungen in so genannten Billiglohnländern produziert. Dem US-Konzern Lion Apparel, der unter anderem die Berliner Feuerwehr, aber auch die Bundeswehr mit Schutzkleidung beliefert, wurden vom US-Magazin "Mother Jones" bereits 1999 zahlreiche Arbeitsrechtsverletzungen nachgewiesen - auch im eigenen Land. Die US- Gewerkschaft Unite Here geht davon aus, dass sich die Arbeitsbedingungen seitdem eher noch verschlechtert haben. Doch selbst wenn die Berliner Feuerwehr den Hersteller wechseln wollte - sie könnte es gar nicht. Denn sie ist durch gesetzliche Vorgaben gebunden.
Soziale oder ökologische Kriterien spielen bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge an Firmen nämlich kaum eine Rolle. In Berlin muss laut Vergabegesetz der Auftrag an denjenigen vergeben werden, der das "wirtschaftlich günstigste Angebot" machen kann, also wer die billigsten Computer oder Uniformen liefert. Dabei haben es 80 deutsche Kommunen, darunter München, Düsseldorf und Bonn, vorgemacht: Sie haben einen Ratsbeschluss gefasst, Produkte nicht mehr zu akzeptieren, die unter ausbeuterischen Bedingungen und mit Hilfe von Kindern angefertigt wurden.
Ausgerechnet die links regierte Hauptstadt war drauf und dran, eine Entwicklung zu verschlafen, die derzeit das Konsumverhalten ganzer Bevölkerungsschichten verändert. Denn immer mehr Verbraucher finden es wichtig, dass Produkte nicht nur preiswert sind, sondern gesund, ökologisch korrekt und fair gehandelt. Und dass die Hersteller ihren Angestellten faire Arbeitsbedingungen bieten.
Vier bis fünf Milliarden Euro gibt Berlin im Jahr für Produkte und Dienstleistungen aus. Die Entscheidung des Einzelnen für Transfair oder Bio hat gesamtwirtschaftlich kaum Einfluss - wenn aber Kommunen, Bundesländer oder gar die Bundesrepublik nach sozialen und ökologischen Kriterien einkaufen, dann kann das etwas verändern. "Die öffentliche Hand sollte ein Vorbild sein", sagt Florian Butollo. Der Mitarbeiter der unabhängigen Organisation "Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung" (Weed) engagiert sich für eine ökologische und faire Umsetzung der öffentlichen Auftragsvergabe.
Voraussichtlich Mitte März wird die Berliner Vergaberechtsreform im Parlament verabschiedet. Die Neufassung des Gesetzes könnte eine Chance sein, das Motto "global denken, lokal handeln" mit Leben zu erfüllen. Denn im Rahmen dieser Neufassung wird derzeit darüber diskutiert, auch soziale, ökologische und faire Kriterien in das Vergaberecht aufzunehmen. Bisher allerdings stehen weder das Verbot von Kinderarbeit noch die Ökologie im Vordergrund der geplanten Reform, sondern das Lieblingsthema von Linken und Sozis: der Mindestlohn. Noch gilt für öffentliche Aufträge: Bauunternehmen und Dienstleister bei Immobilien müssen ihre Angestellten nach Tarif entlohnen. Doch wer nicht tarifgebunden ist - und das ist die Neuerung - muss seinen Angestellten mindestens 7,50 Euro pro Stunde zahlen. Eine Regelung, die zudem auf alle Branchen ausgeweitet werden soll.
"Wir sind wild entschlossen, beides durchzusetzen: Mindestlohn und faire Vergabe", beteuert Stefan Liebich, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linken und dort federführend für den Gesetzentwurf. Frank Jahnke, der für die SPD das Thema bearbeitet, betont lieber, wie wichtig zukünftige Kontrollen zur Einhaltung der Mindestlohn- Regel sind. Ökologische und faire Kriterien, ja, die findet Jahnke "auch sehr wichtig".
Es kam, wie es kommen musste: In der ersten Gesetzesvorlage, die am 25. Februar dem Wirtschaftsausschuss vorgelegt wurde, war von ökologischen und fairen Kriterien nur am Rande die Rede. Diese Punkte sollten in Form von "Rundschreiben" oder "Ausführungsvorschriften" geregelt werden, im Gesetz wollte man sie nicht verankern.
Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Lisa Paus, will dies nicht hinnehmen. Ohnehin, sagt sie, würden Vergabeverfahren durch die geplante Änderung vermutlich juristisch angreifbar. Unternehmen könnten sich benachteiligt fühlen, die von einer Ausschreibung ausgeschlossen würden. Auf das Land könnte eine Klagewelle zurollen. Paus plädiert daher dafür, die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der International Labour Organization (ILO) im Gesetz festzuschreiben. Diese fordern soziale und faire Arbeitsbedingungen in den Betrieben, das Recht auf Selbstorganisation der Arbeiter und das Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit. Ferner möchte Paus Fair-Trade-Kriterien, Frauenförderung sowie ökologische Vergabekriterien dort verankert sehen. "Wesentliche Dinge", darauf hätten die vom Wirtschaftsausschuss zur Anhörung geladenen Juristen hingewiesen, "sollten im Gesetz geregelt werden". Nicht in zusätzlichen Vorschriften.
Stefan Liebich gibt sich kompromissbereit. "Soziale, ökologische Kriterien, Frauenförderung und Kriterien der nachhaltigen Beschaffung werden wir in die Vorlage mit aufnehmen", verspricht er. Zwar seien diese Punkte noch "nicht abschließend" in den Fraktionen der Koalition diskutiert, aber: "Ich bin optimistisch, dass wir das hinkriegen." Der Vorschlag der Koalition soll eine Aufforderung an den Senat enthalten, der Kampagne für nachhaltige Beschaffung "Procura" beizutreten und bei der Auftragsvergabe Unternehmen zu bevorzugen, die nach den EU-Öko-Richtlinien zertifiziert sind. Ob die Vorschläge konsensfähig sein werden, das wird sich am 10. März erweisen. An diesem Tag wird die überarbeitete Vorlage erneut dem Wirtschaftssauschuss vorgelegt. Sind alle Fragen geklärt, könnte sie am 13. März verabschiedet werden.
Bauchschmerzen bereitet allerdings noch die Frage, wie man die allgemein gefassten Kriterien in der Praxis anwendet. Was genau muss man unter "ökologisch" oder "fair" verstehen? Beispiel Kaffee: In Berlin gibt es über 450 Werks- und Personalkantinen, Mensen, öffentliche Krankenhäuser, dazu kommen Staatsempfänge, Sitzungen, Konferenzen. Überall wird Kaffee getrunken. Man müsste vor der Ausschreibung an Zulieferer und Cateringfirmen zur Bedingung machen, dass der Kaffee ein Transfair- sowie ein Öko-Siegel tragen muss. Dass so etwas funktioniert, hat die "Kantinenkommission" im Berliner Abgeordnetenhaus gezeigt. Sie hat beschlossen, nur noch Kaffee, Tee und Schokolade mit dem Transfair-Siegel anzuschaffen. Aufpreis: 10 Cent pro Tasse.
Auch in anderen Bereichen wären Regelungen über Siegel international anerkannter Zertifizierungsorganisationen denkbar, zum Beispiel bei Dienstbekleidungen von Polizei und Feuerwehr. Lisa Paus nennt als Vorbild Japan; dort will man innerhalb von fünf Jahren die gesamte Verwaltung auf den derzeit höchsten Ökostandard bringen.
Nur: Wer soll den neuesten Hybrid-Dienstwagen und das Passiv-Rathaus finanzieren? Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Volker Thiel, hält es angesichts der Haushaltlage für "unverantwortlich, mehr Geld als nötig auszugeben". Er ist gegen die Aufnahme neuer Kriterien in das Vergaberecht - außer vielleicht einen Passus gegen ausbeuterische Kinderarbeit.
Dass die Reform Geld kosten wird, liegt auf der Hand. Allein das Festschreiben des Mindestlohns wird die Angebote der Auftragnehmer zwangsläufig verteuern. Um wie viel, ist noch offen. "Die Kostensteigerung ist für uns nicht das entscheidende Kriterium", versichert Stefan Liebich. Wie viel die Koalition für Ökologie, Nachhaltigkeit und Fairness bereit ist auszugeben, "darüber gibt es noch keine Berechnungen".
Kaum Mehrkosten
Dass letztere Kriterien aber nicht unbedingt Mehrkosten verursachen müssen, zeigt das Beispiel Düsseldorf. Dort hat die Feuerwehr 2003 beschlossen, ihre Schutzkleidung nur noch aus dem fairen Handel zu beziehen. Aufgrund der guten Erfahrungen übernahm die gesamte Beschaffung in Düsseldorf 2006 diese Kriterien. Seitdem müssen alle Auftragnehmer garantieren, dass sie nach internationalen Arbeitschutzrichtlinien handeln, also keine Kinderarbeit zulassen, ihre Arbeiter fair entlohnen und ihnen Mitbestimmung einräumen. Mehrkosten seien kaum entstanden, schätzt Ladislav Ceki vom Düsseldorfer Eine Welt Forum. "Wenn man die Preise genau vergleicht, sind die meisten Produkte aus fairem Handel kaum teurer als andere."
Öko, Fairness - "alles wunderbare Dinge, gegen die man nicht ernsthaft sein kann", schwärmt denn auch der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU, Michael Dietmann. Dennoch zielt für ihn die Vergabereform in die völlig falsche Richtung. "Wenn man schon das Vergabegesetz ändert, dann sollte man lieber unsere lokale Wirtschaft unterstützen", sagt er. Also vereinfachte Verfahren für regionale Unternehmen einführen, wie zum Beispiel in Bayern. Einen flächendeckenden Mindestlohn lehnt er sowieso ab, das ist Parteilinie.
Berlin hätte die Chance, hier eine Vorbildrolle zu übernehmen. Das könnte auch die Bundesregierung auf Trab bringen, bei der bald auch Diskussionen um das Vergaberecht anstehen. "Die öffentliche Hand besitzt beträchtliche Marktmacht, die verantwortungsvoll eingesetzt werden will", so Florian Butollo von Weed.
Manchen geht solch ein Verantwortungsgefühl allerdings völlig ab. So vergab die landeseigene "Berliner Immobilienmanagement" (BIM) Anfang des Jahres einen Wachschutz-Auftrag an die Firma B.I.G., die ihren Beschäftigten 5,25 Euro pro Stunde zahlt - in Kenntnis des Gesetzesentwurfs, der einen Mindestlohn von 7,50 Euro festschreibt. Da das Gesetz noch nicht verabschiedet ist, war das rechtlich in Ordnung - wenn auch unsensibel. Nun arbeiten über 50 Wachschützer für das Land zu diesen Bedingungen, der Vertrag läuft knapp zwei Jahre. So wird das nie was mit dem Vorbild Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!