: Öde, ausschweifend
■ „slam poetry“– immer schmutziger, banaler, und jetzt auch im Schlachthof
Auch ohne den Kometen „Hale-Bopp“bricht die Apokalypse aus: Auf dem Schlachtfeld liegen „zerschmetterte Säuglinge“, „ausgemergelte Leichen“und „pulsierende Gedärme“. Aber „Du bist immer noch am Leben, noch nicht ganz tot. Denn Du bist anders, Du bist ein bewußtes Arschloch“.
Literatur im engeren Sinne ist das nicht, was die beiden Schweizer „Seelenlos und Ärger“im Magazinkeller des Schlachthofes zum Auftakt einer neuen Lesungs-Reihe präsentierten.
Aber es ist „slam poetry“: Geschichten aus den Schmutzwasserkanälen des Alltags, breite stinkende Textflüsse, in denen auf allen paar Metern die Worte „Kotzen“und „Ficken“treiben. Neu ist das Ganze zwar auch nicht: Rolf Dieter Brinkmann schrieb schon in den sechziger Jahren vom Wichsen, vom öden Sex mit seiner Freundin und Abtreibungen auf Küchentischen. Und zum Programm der expressionistischen Schriftsteller, zwischen 1910 und 1920, gehörte eine ähnliche Vernichtung des Verbs wie bei „Seelenlos und Ärger“. Aber trotz dieser Traditionslinien ist „slam poetry“heute eine eigenständige Bewegung – ganz einfach, weil sie in den großen Städten und in kleinen Clubs auf wachsende Resonanz stößt.
Manchmal ist es auch immer noch eine Provokation, das eigene kaputte Leben zwischen Klo und Bett in die Öffentlichkeit zu schleudern: Das „slam“-Video „Blutgeil“, in dem Polizisten gekocht und gegessen werden, ist in der Schweiz verboten, die beiden konnten zwischen Gefängnis und Geldstrafe wählen.
„Seelenlos und Ärger“sind in ihrer Heimat Outlaws. Der eine ist eine perfekte Kopie des Mörders aus „Dead Man Walking“, dem anderen wachsen Silikonbeulen aus dem kahlgeschorenen Schädel. Authentizität ist gefragt, nicht nur die Texte, auch die Physiognomie muß von ihrem Leben erzählen.
Dafür bot der verrauchte Magazinkeller des Schlachthofes natürlich den richtigen Rahmen. Doch die Gäste, rund zwanzig an der Zahl, blieben skeptisch: Sätze wie „Deinen Intelligenzquotienten wichs ich an die Wand“, Berichte von Kotzorgien an Silvester und Phantasien von Kinderwagen, die vor quietschende Autoreifen geschleudert werden, können spätestens seit Kinofilmen wie „Pulp-Fiction“und „Natural Born Killers“nur Behörden und Christen provozieren. Nicht aber ein abgebrühtes Publikum wie es das Bremer ist.
Diesem präsentieren Elke Heyduck und Michael Harre vom Schlachthof fortan mindestens einmal im Monat „Keller-kompatible-Lesungen“. Wobei sie sich nicht auf „slam poetry“festlegen wollen: So planen die beiden demnächst auch eine Lesung von „Titanic“-AutorInnen. Und anders als „slam“-sessions wie die im AKAS-Club in der Weberstraße, wo jede und jeder auftreten darf, wählen Heyduck und Harre aus – nach „subjektiven und objektiven Kriterien“, wie es vieldeutig heißt. Entscheidend sei, so Elke Heyduck, daß auch der Schlachthof dieser neuen verbalen Jugendkultur ein Forum der Artikulation bietet.
„Eigentlich ist es ja so banal und abgedroschen“, beurteilen „Seelenlos und Ärger“ihr Genre am Ende des Abends selbst. Trotzdem, wenn man nur lange genug hinhört, setzt der Rausch der Apokalypse – mit und ohne Hale-Bopp – doch ein. Jörg Straehler-Pohl
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