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ÖPNVSchwarzfahren kommt aus der Mode

Immer weniger Berliner werden ohne Fahrschein erwischt. Auch die Zahl der Anzeigen sinkt, sagen Polizei und BVG.

Gute Laune bei der BVG: Weniger Schwarzfahrer! Bild: Reuters

„Schwarzfahrer, bildet Banden und entwickelt Tricks“ singt der Hip-Hop-Sänger Tapete in „Schwarzfahrt“, seiner Hymne auf das Fahren ohne Ticket. Damit findet er immer weniger Gehör: Neue Zahlen der Polizei und der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) belegen, dass die Zahl der Schwarzfahrer stark zurückgeht.

Insgesamt rund drei Prozent weniger Straftaten als im Vorjahreszeitraum stellte die Polizei zwischen Januar und Juni 2012 fest. Maßgeblich dafür ist die stark gesunkene Zahl von Strafanzeigen wegen des so genannten „Erschleichens von Leistungen im Öffentlichen Personennahverkehr“: 5.067 solcher Fälle übermittelten BVG und S-Bahn im ersten Halbjahr an die Polizei – das entspricht einem Rückgang um 52,1 Prozent.

Strafanzeigen betreffen nur Wiederholungstäter; beim dritten Mal übergibt etwa die BVG den Fall an die Polizei. Das ist immer seltener der Fall, ebenso wie die Zahl der Schwarzfahrer überhaupt – also alle Menschen, die ohne Fahrschein erwischt wurden – rückläufig ist: 202.000 von ihnen zählte die BVG 2011. 2009 waren es noch 354.000, 2010 dann 325.000. „Wir haben derzeit das Gefühl, dass diese Entwicklung anhält“, so BVG-Sprecherin Petra Reetz.

Ein Grund für den Rückgang sei, dass die BVG seit bald einem Jahr auf Kontrolleure in Zivilkleidung verzichtet und nurmehr uniformierte Kontrolleure in Straßen- und U-Bahnen schickt: „Wir wollen unseren Fahrgästen nicht auflauern, sondern uns auf Augenhöhe mit ihnen bewegen“, sagte Reetz. Uniformierte Kontrolleure stärkten das Bewusstsein, dass ohne Ticket das erhöhte Beförderungsentgelt von 40 Euro drohe; die Bereitschaft ein Ticket zu lösen steige.

„Bei den Kontrollen geht es darum, die Zahl der Schwarzfahrer niedrig zu halten. Unsere Verluste können wir so nicht kompensieren“, so Reetz. 20 Millionen Euro kosteten die durchschnittlich drei Prozent Schwarzfahrer im Jahr. Unbeantwortet ließ die S-Bahn eine Anfrage der taz – dabei wären die Zahlen interessant, setzt die S-Bahn doch weiter auf Kontrolleure in Zivil.

Ungeachtet der rückläufigen Zahlen fordert die Piraten-Fraktion im Abgeordnetenhaus die Abschaffung des Straftatbestands Schwarzfahren. „Wir werden nach der Sommerpause einen entsprechenden Antrag einreichen und den Senat auffordern, eine Bundesratsinitiative zu starten“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Piraten, Simon Weiß. „Den Staat kostet es mehr als es nützt, Schwarzfahrer per Strafverfahren zu verfolgen“, so Weiß. Diejenigen, die mehr als drei Mal erwischt würden, hätten oft Schwierigkeiten, das erhöhte Beförderungsentgeld oder Geldstrafen zu berappen – oft zögen sie dann eine Gefängnisstrafe vor.

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6 Kommentare

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  • FG
    Flo G

    Den Fakt, dass wir seit Jarhzehnten ein Riesen-Problem im Bereich Städteplanung- und Bau haben, weil wir 8-spurige Stadtautobahnen hinkleistern, die den ÖPNV an die Wand drängen, bestreitet ja gar niemand.

     

    Es ist allerdings ja so, dass diese Straßen immer für alle kostenlos sind (und so auch von nicht-auto-fahrern bezahlt werden), während man den ÖPNV sozusagen als reines Privatvergnügen hinstellt, dass normal gekauft werden muss.

     

    Es handelt sich dabei einfach um einen kleinen bis großen Kulturkampf zwischen verschiedenen Lebensentwürfen: Die kommunal-freheitlichen, die gerne einfach so ohne groß zu planen mal Bahnfahren wollen au der einen Seite - und die bürgerliche Kleinfamilie, die lieber mit dem Audi Quatro 15 Km in die Supermarktkette fährt, weil ihr der türkische Gemüsehändler um die Ecke scheinbar nicht sauber genug ist.

     

    Ich finde es gut, dass dieser Kampf geführt wird, und ich finde auch die Mittel, mit dem er geführt wird (Schwarzfahren), sehr gut.

  • B
    BVG-Kritiker

    Ich finde es in Ordnung für die Nutzung des BVG meinen Anteil zu zahlen,allerdings finde ich das dies schon durch die Subvention aus den Steuergeldern geschieht.

    Ich bin aber nicht bereit doppelt zu zahlen nur damit sich Privatpersonen eine goldene Nase verdienen können! Reparaturen u.ä. werden fast ausschließlich mit Steuergeldern finanziert und nicht mit den Einnahmen durch Fahrkartenverkäufe,davon wandert sehr viel in private Kassen.

  • J
    junge

    Ich denke mal das hängt auch stark mit dem ansteigendem Fahrradverkehr zusammen. Viele Leute die ich kenne sind vor 5 Jahren kaum Rad gefahren. Zudem die vielen Bahnräder... und jeder Kiosk und jedes Hotel in Mitte vermietet inzwischen Räder an Touris.

    Ob die Kontrollettis zivil oder markiert sind ist denke ich schnuppe.

  • N
    Nadine

    Da hat aber jemand nicht gut recherchiert....es gibt nach wie vor zivile Kontrolleure - die uniformierten sind zusätzlich!

  • WB
    Wolfgang Banse

    Schwarzfahren darf nicht legalisiert werden

    Schwarzfahren muss mit Bussgeld beziehungsweise sollte es mehrmals vorkommen mit einem Verfahren vor Gericht geandet werden.

    Schwarzfahrer dürfen und können nicht auf die Solidargemeinschaft der Ticketbesitzer rechnen.Wer eine Dienstleistung in Anspruch nimmt,muss diese auc h vergüten,wie hier durch den Kauf eines Ticket.

  • R
    RedHead

    Ich verstehe folgendes nicht:

     

    "202.000 von ihnen zählte die BVG 2011. Vor zwei Jahren waren es noch 354.000, 2010 dann 325.000."

     

    Wir haben das Jahr 2012, vor 2 Jahren war folglich das Jahr 2010. Wurden 2010 nun 354000 oder 325000 Schwarzfahrer gezählt?

    Gemeint war "2 Jahre vor 2011", also 2009. Wird geändert, vielen Dank! D. Red.