ÖKO-PARTEI LIEGT VORN: Wähler blasen Grüne auf
Die Berliner Grünen führen in einer Umfrage. Das hat in der 31-jährigen Geschichte der Partei noch kein Landesverband geschafft. Alles eine Blase, meinen die anderen Parteien.
Die Möglichkeit eines grünen Siegs bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 wird immer realistischer: Bei der jüngsten Umfrage liegt die Partei erstmals vorne. Das ist in der 31-jährigen Geschichte der Grünen noch keinem Landesverband gelungen. Vertreter der rot-roten Koalition, aber auch der anderen Oppositionsfraktionen CDU und FDP sehen im Grünen-Hoch eine vorübergehende Erscheinung und eine Blase, die schnell platzen könnte. Die Grünen würden vor allem von ihrer doppelten Oppositionsrolle in Bundestag und Abgeordnetenhaus profitieren.
Ende 2008 waren die Grünen in Berlin in Umfragen lediglich viertstärkste Partei. Jetzt liegen sie in der neusten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für die Berliner Zeitung mit 27 Prozent vor der SPD mit 26. Die CDU, noch zum Jahreswechsel bei einer Forsa-Umfrage mit 25 Prozent stärkste Partei, ist auf 17 Prozent abgerutscht, nur knapp vor der Linkspartei mit 16. Die FDP, vor einem Jahr noch bei 12 Prozent, stagniert bei 4.
Für den Fraktionschef der Linkspartei, Udo Wolf, erklärt sich die Lage leicht: "Die Stärke der Grünen ist derzeit nicht mehr als die Schwäche von FDP und Union." Dem widerspricht Forsa-Chef Manfred Güllner. "Das ist Quatsch", sagte er der taz, "es gibt nach wie vor wenig Wanderung von der FDP hin zu den Grünen. Und frühere CDU-Anhänger enthalten sich eher."
Güllner sieht den Grünen-Boom eindeutig durch enttäuschte SPD-Wähler gespeist. Sie würden die Grünen entdecken, die plötzlich seriös wirken würden. Diese Zugewinne seien aber noch keine verlässlichen Stimmen im Herbst 2011. "Zwischenparker" nennt sie der Forsa-Chef. "Man kann den Grünen nicht garantieren, dass sie das auch bei der Wahl einfahren", sagt Güllner.
Bei den Sozialdemokraten gibt man sich angesichts von noch zwölf Monaten bis zur tatsächlichen Entscheidung betont gelassen. "Ich gehe davon aus, dass das ein Hype ist, den die Grünen gerade ausleben", sagt ihr parlamentarischer Geschäftsführer Christian Gaebler. Für ihn ist bezeichnend, dass die als grüne Spitzenkandidatin gehandelte Renate Künast sich weiterhin nicht erkläre: "Das zeigt doch, dass sie selbst noch nicht sicher ist."
Inhaltlich ist der Grünen-Boom für Gaebler nicht zu erklären. Ein am Wochenende bei der Grünen-Fraktionsklausur vorgestelltes Papier sei "an Belanglosigkeiten nicht zu überbieten". Die Grünen würden sich zudem selbst widersprechen, wenn sie mehr Bürgerbeteiligung forderten. "Beim Rauchverbot wollen sie doch gerade nicht mit der Stadtgesellschaft reden", sagte Gaebler. Und die Kennzeichnungspflicht für Polizisten wolle die Partei per Gesetz regeln, statt sie wie aktuell Rot-Rot mit dem Personalrat zu verhandeln.
Dagegen sieht Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop die These von der bloßen Blase schon dadurch widerlegt, dass der Boom seit Sommer 2009 anhält. Damals stiegen die Werte der Partei erstmals seit fünf Jahren auf über 20 Prozent. Bei Europa- und Bundestagswahl gab es ebenfalls Spitzenergebnisse. Bei der Klausurtagung der Fraktion erinnerten sich allerdings auch Grünen-Parlamentarier daran, dass die Partei bei den vergangenen beiden Abgeordnetenhauswahlen unter ihren Umfragewerten blieb.
Auch für die Landesvorsitzende Irma Franke-Dressler ist der erste grüne Umfragenspitzenplatz kein Grund, sich offensiver zu geben. Für sie unterscheidet Bodenhaftung die Grünen von den 2009 über Monate ebenfalls boomenden Liberalen. "Anders als die FDP laufen wir nicht mit einer 18 unter der Schuhsohle herum - bei uns müsste es ja auch eine 27 sein", sagte sie. Die Sohlen-Episode hängt bis heute Guido Westerwelle an, dem Bundeschef der inzwischen abgestürzten FDP.
Von Renate Künast will Franke-Dressler weiter nichts zu einer Spitzenkandidatur gehört haben. Die Landeschefin nannte aber einen klaren Zeitrahmen: "Bis zu unserem Parteitag am 6. November ist die Entscheidung sicherlich gefallen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!