Occupy-Theoretiker David Graeber: Die Rakete der Kapitalismuskritik
Er ist der „Vater der Occupy-Bewegung“ und hat mit seinem Buch über Schulden einen Hype ausgelöst: der Anthropologe David Graeber.
„Der Kommunismus ist das Ende der Verbrechen und der Tollheit.“ Nur die Dummköpfe nennten ihn dumm und die Schmutzigen ihn schmutzig. Das wusste Bert Brecht. Das weiß auch FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher und veröffentlichte jüngst in der FAZ ein „Lob des Kommunismus“ des Autors David Graeber, nachdem er bereits einen Hype um dessen Buch „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“ ausgelöst hatte.
Seitdem ist David Graeber nicht mehr nur in den Occupy-Camps ein äußerst gefragter Mann. Sein „Schulden“-Buch verkaufte sich in Deutschland seit Erscheinen vor zwei Wochen über 30.000-mal. Journalisten, politische und ökonomische Entscheidungsträger reißen sich um den Anarchisten und politischen Aktivisten aus New York, der am Londoner Goldsmith College Anthropologie lehrt.
Um David Graeber rankt sich eine ganze Erweckungserzählung: Der Politik seien die Beschränkungen einer technokratischen Ökonomenriege offenbar geworden, den Verfechtern des Neoliberalismus die negativen Folgen, welche die entfesselte Finanzindustrie für das Gemeinwesen habe.
Auch der öffentlich inszenierte Geständniszwang führender Konservativer, wie des Briten Charles Moore letztes Jahr im Daily Telegraph, der zu bedenken gab, die Linke könnte doch recht haben, ist Teil dieser Erzählung, die uns das Feuilleton von der FAZ bis zum Freitag liefert und die ihre Effekte zeigt: Viele sehen die „Front gegen die Verdammung linksradikaler Positionen bröckeln“.
Die Linken sind wohl deshalb so positiv vom Graeber-Hype überrascht, weil sie ihn als Indiz dafür nehmen, dass auch den anderen nun offenbar geworden ist, dass sie nicht weiterhin so tun können, als sei die Krise ohne die Demokratiefrage zu lösen. Aber das heißt noch nicht, wofür Graeber ein gutes Beispiel ist, dass alle über dasselbe sprechen.
Politik nur mit Führerschaft
Mit einem verschmitzten Lächeln sagt Graeber, eine tiefe Verunsicherung habe die Eliten erfasst, während er in einem Berliner Café Nudeln mit Gambas isst und dazu eine Cola trinkt, die eigentlich nur zu asiatischen Gerichten wirklich gut schmecke, wie er findet. Mittlerweile wird er „Vater der Occupy-Bewegung“ genannt. Darauf angesprochen, sagt er, das zeige nur, dass die Leute sich nach wie vor Politik nur in Begriffen von Führerschaft vorstellen könnten. Deshalb stehe auch zu befürchten, dass im Zuge der Krise die rechtspopulistischen Strömungen stärker werden könnten.
In den USA wünschten sich mittlerweile zwei Drittel der Jugendlichen etwas anderes als den Kapitalismus. Der Kapitalismus habe bei vielen Menschen das Gefühl von Prekarisierung erzeugt. Diese Prekarisierung denkt er wie das Gesellschaftlich-Ökonomische überhaupt über das Schuldenproblem.
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Schulden sind für Graeber nicht einfach eine ökonomische Größe, sondern gemäß der Doppeldeutigkeit des Wortes eine ideologische Waffe, die unsere Moral prägt und ein Instrument von Unterdrückung ist. Schulden gab es auch vor dem Kapitalismus, wie der Anthropologe in seinem Buch nachweist, noch bevor es Geld gab. Das heißt für Graeber, der Kredit ging dem Geld voraus, die Behauptung, Geld sei auf den Tauschhandel und auf das Geld schließlich der Kredit gefolgt, sei der Mythos, auf dem die Wirtschaftswissenschaften noch immer basierten. Der Tauschhandel war darin immer nur Nebenprodukt.
Geld habe die menschlichen Beziehungen korrumpiert, sagt er, indem es aus Versprechen, Geliehenes zurückzugeben, unpersönliche finanzielle Prinzipien, also Schulden mache. Nicht ohne Folgen für die Formen menschlicher Kooperation. Doch das hat eine Kehrseite, denn die Geschichte zeige, alle Revolutionen begönnen mit Schulden, die die Gesellschaft nicht mehr tragen könne.
Schuldner und Gläubiger
Nimmt man das mal so hin, so stellt sich die Frage, was zu tun wäre, damit die Gesellschaften nach einem Schuldenerlass, über den ja nicht mehr nur Anarchisten wie Graeber nachdenken, nicht in das gleiche Verhältnis von Schuldner und Gläubiger zurückfallen. „Das ist die große Frage“, gibt er zu. Die Konzeption von Geld könne nicht länger die gleiche sein, Schulden seien dann ein Problem, wenn wir von ungleichen Parteien ausgingen. Die Demokratie müsse so verändert werden, dass sie keine strukturelle Ungleichheit erzeugt.
Das alles lässt einen etwas ratlos zurück. Dass Geld nicht gleich Geld ist und Kredit nicht gleich Kredit, lässt sich nun mal nicht damit leugnen, dass wir es immer wieder mit einem Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger zu tun haben. Indem er Kredit, Geld und Kapital nicht als bestimmte gesellschaftliche Formen fasst, sie nicht in den Zusammenhang dessen, wie Gesellschaften produzieren, stellt, argumentiert er geschichtslos.
Graeber kämpft sich durch 5.000 Jahre Menschheitsgeschichte, um in der Sackgasse einer Sozialanthropologie zu münden, die keinen Begriff von historischen Entwicklungen kapitalistischer Gesellschaften hat. Somit muss gar der Unterschied zwischen kapitalistischen und vorkapitalistischen Gesellschaften versanden. Der Kapitalismus beruht auf Warenproduktion, Marktwirtschaft, Lohnarbeit und Profit. Nicht Geld macht die Gesellschaft zu einer kapitalistischen und Kapital und Kredit sind nicht das Gleiche.
Dieser blinde Fleck hat weitreichende Folgen für seine Theorie der Demokratie. Wie Karl Marx in der „Kritik des Gothaer Programms“ (1875) definiert Graeber den Kommunismus mit dem Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Und fügt hinzu, alle gesellschaftlichen Systeme, sogar der Kapitalismus sei auf einem Fundament von real existierendem Kommunismus errichtet.
Freie Gesellschaft
Allerdings meint Graeber nicht, wie etwa die Postoperaisten jenen „Kommunismus des Kapitals“, der in der Aneignung der Kooperation und des Gemeinsamen der Produzenten durch das Kapital besteht. Graeber spricht vielmehr von Formen der Gegenseitigkeit, in denen er immer schon den Beginn einer freien Gesellschaft sieht. Darin zeigt sich sein Bezug auf den traditionellen Anarchismus oder die Geschenkökonomie eines Marcel Mauss.
Im „Schulden“-Buch heißt es gar, Kommunismus habe nichts mit dem Besitz von Produktionsmitteln oder der Frage des privaten Eigentums zu tun, das „oft sowieso nicht viel mehr als eine rechtliche Formalität“ sei, nein, Kommunismus gebe es bis zu einem gewissen Grad bereits hier und heute, weil er Gesellschaft erst möglich mache. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen sei eine Handlungsform, die den Menschen ohnehin zueigen sei, sofern die Not groß genug erscheine.
Eine Logik, die in nicht so unpersönlichen Gemeinschaften wie der unseren noch viel breiter zum Ausdruck komme. So gesehen ist der „elementare Kommunismus“ des David Graeber schlicht die Anerkennung dessen, dass wir alle voneinander abhängig sind.
Der Kommunismus des Schirrmacher
Das ist in viele Richtungen anschlussfähig. Eingedenk dessen verliert gar die Gewalt der Krise an Brisanz und kann der Kommunismus des Frank Schirrmacher besser verstanden werden. In seinem Buch „Minimum“ (2006) beklagte Schirrmacher die Auflösung der „Überlebensfabrik“ Familie als Keimzelle der Gesellschaft und sah darin eine allgemeine Schrumpfung sozialer Beziehungen. Die soziale Überlegenheit der Familie demonstrierte er mit der Tragödie der Siedler am Donnerpass, wo vor allem Einzelkämpfer den Schneesturm nicht überlebten.
Auch Graeber illustriert seinen „elementaren Kommunismus“ an der Institution Familie und den Improvisationen in einer Flutkatastrophe, in der Hierarchien und Märkte zu Luxusgütern würden, die sich niemand leisten könnte.
Besinnen wir uns also auf ideale Beziehungen von Mensch zu Mensch, wie sie noch die Haudenosaunee oder Irokesen pflegten. Und enden mit Karl Kraus: „Das Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal davorsteht.“
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