piwik no script img

■ Obwohl sie protestieren, haben die Studenten nur noch FreundeFalsche Solidarität

Die Lage an den Universitäten ist unübersichtlich oder, freundlicher gesagt, bunt. In Gießen verlangen die verhinderten Erstsemester, daß ihnen die versprochene Bildung auch geboten wird. Die Marburger fordern mehr Geld für die Uni – und die Freilassung der politischen Gefangenen. Fachhochschüler in Berlin luden sich erstmal Manager von Telekom und Siemens ein, um sich nach ihren Jobchancen zu erkundigen. So heterogen die „Studentenbewegung 97“, so werbebewußt ihr Motto „Lucky Streik“ – die Forderungen der Studierenden versprechen politische Relevanz im Herbst der Hochschulreform.

Die Studentenprotestler haben einige Ecksteine aufgelistet, ohne die eine Veränderung der Hochschulen und des Studiums nur schiefgehen kann. Dazu gehört zuallererst der Ausbau des Bafög zu einem elternunabhängigen Stipendium, sprich: einer Studienstütze, die Studierende als junge Erwachsene ansieht und allen den Zugang zu Bildung ermöglicht. Auch das im Hochschulrahmenrecht zu verankernde gesetzliche Verbot von Studiengebühren gehört hierhin. Allein die dauernde Debatte um Studiengebühren schreckt vom Studium ab – und das kann doch niemand wollen, wo wir doch auf dem Weg in die Wissensgesellschaft sind. Beides, das durchlöcherte Bafög und drohendes Seminargeld, sorgen für einen heimlichen sozialen Numerus clausus, der weder mit der Verfassung noch mit der Geschichte der Republik vereinbar ist.

Erst, wenn dieser soziale NC abgewendet ist, ließe sich vernünftig über eine Studienreform sprechen. Auch hier sind die Studierenden auf Augenhöhe, wenn sie das „Schmalspurstudium“ thematisieren. Damit meinen sie den Plan, in Deutschland Bachelor- Grade einzuführen, also berufsqualifizierende Studienabschlüsse nach drei Jahren. Die Studentenprotestler nennen das schmalspurig, und das ist wohl nicht ganz falsch. Aber, ernsthaft betrachtet, dürften die Protestierer damit bei den Studierenden auf wenig Rückhalt stoßen. Denn das gehört doch zur Misere der Unis, daß sie immer noch alle ihre Studierenden auf dem klassischen Weg für die Wissenschaft ausbildet – obwohl doch ein überwiegender Teil der StudentInnen ganz pragmatisch nach Berufsqualifikationen schielt. Ein Aufwertung der Fachhochschulabschlüsse und eine Differenzierung des Uni-Studiums sind also kein Teufelswerk. Sie müssen nur unter gleichberechtigter Beteiligung der Studierenden in den Hochschulen entworfen werden. Und das geht freilich nur, wenn den StudentInnen in den Hochschulen endlich die gleichen Rechte eingeräumt werden. Mit anderen Worten: Die unsägliche, vordemokratische Praxis, die Professoren automatisch mit der Mehrheit in sämtlichen Universitätsgremien zu privilegieren, muß beendet werden. Wer erwachsene Menschen politisch wie Untertanen einstuft, der braucht über Reformen gar nicht erst zu reden. Auch dieser Sachverhalt ist den 97er Studentenprotestlern klarer als Boykottbewegungen früherer Jahre. Demokratisierung der Universitäten steht auf Platz eins vieler Forderungskataloge.

Die Wunschlisten sind freilich so hübsch geworden, daß die Studierenden trotz ihrer Boykotte und Proteste nur noch Freunde haben. Die fürsorgliche Umarmung reicht von Bildungsminister Rüttgers über die Frontfrau der SPD-Länder, Anke Brunn, bis hin zum Vorsitzenden des Hochschullehrerverbandes Hartmut Schiedermair – kurz: all jenen, die politische und berufliche Verantwortung für die miserable Situation tragen. Die Studierenden sollten ziemlich genau hinsehen, wer sich nun bei ihnen alles unterhakt.

Der studentische Protest kann, bei all seiner Heterogenität, die vom Pragmatismus betrogener Bürgerkinder bis hin zu revolutionärem Elan reicht, ein Korrektiv für die in die falsche Richtung gehende Hochschulreform sein. Aber die Instrumentalisierungsversuche sollten sich die Studierenden verbitten.

Machen wir uns nichts vor: Das ist die vorerst letzte Chance, ein im Kern verrottetes Hochschulwesen zu reparieren. Der erste politisch relevante Termin dafür ist das Treffen des Kanzlers mit den Ministerpräsidenten zum elternunabhängigen Bafög. Das findet am 18. Dezember statt, bis zu dorthin muß der Protest reichen. Sonst war er vergebens. Christian Füller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen