: Oberwasser für Euro-Grüne
Trotz Weltuntergangsstimmung verhaltener Optimismus/ Aufwertung der deutschen Eurogruppe ■ Aus Brüssel Michael Bullard
Das grüne Wahldebakel hat auch seine guten Seiten — denkt man sich in der grünen Fraktion im Europaparlament. Zwar schlurfen die deutschen Eurogrünen dieser Tage auch in Brüssel mit Weltuntergangsmiene durch die Parlamentsflure, dahinter verbirgt sich jedoch verhaltener Optimismus: Der plötzliche Abgang der West-Grünen aus dem Bundestag kommt einer Aufwertung der deutschen Eurogruppe gleich, die bislang als zweite Riege in der bundesgrünen Polithierarchie galt. Doch nicht nur das Mauerblümchendasein soll ein Ende haben. Ganz Radikale halten den Ausfall der Bundestagstruppe sogar für die Chance, den grünen Hang zur Nationalstaatlichkeit endlich zu überwinden. „Das Europa der Regionen“, das sie seit Jahr und Tag predigen, könnten die Ökos jetzt an sich selbst erproben. Grüne aus Schwaben, Umbrien oder Paris, so die Vision, demonstrieren wirklichen Föderalismus, indem sie sich nicht mehr an nationalen Parteistrukturen orientieren, sondern gleichzeitig regional und supranational die Einigung Europas vorwegnehmen.
Nicht nur von den heimischen Politprofis wurden die deutschen Euro- Grünen bislang mit nationaler Verachtung gestraft. Auch die französischen und italienischen Grünen, die ihre Eliten nach Europa schickten, haben keine besonders hohe Meinung von ihren deutschen Kollegen. Dies hat dazu geführt, daß die Bundes-Grünen — im Vergleich zur letzten Legislaturperiode — im Europageschäft wenig zu melden haben. Dies könnte sich nach dem Wahldebakel sogar noch verstärken. Schon reiben sich die Parteitaktiker die Hände. Schließlich ist den Deutschen jetzt ihr großer Bruder abhandengekommen. Der Bonner Bundesvorstand war immer gerufen worden, wenn die Deutschen im Clinch mit den angeblich rechteren Italienern, Franzosen und Belgiern nicht mehr weiter wußten. Andererseits läßt diese Entwicklung so manchen Parlamentarier hoffen, daß nun endlich gemeinsame Politik gemacht werden kann. Schließlich beschäftigt sich die Eurofraktion seit den Europawahlen im Juni 1989 fast ausschließlich mit sich selbst. In Anlehnung an das bundesdeutsche Modell ist es den Euro-Grünen in nur eineinhalb Jahren gelungen, ihre Fraktion an den Rand der Bedeutungslosigkeit zu manövrieren. Im Kampf um Posten und Einfluß blieb nicht nur die Auseinandersetzung um eine dringend nötige grüne Europapolitik auf der Strecke. Die Dauerblockade ist auch beredtes Zeugnis für die praktischen Schwierigkeiten der Grünen, über ihren national bestimmten Charakter zu springen. Wohl auch deshalb befürchtet der Chef der grünen europäischen Koordination, Leo Cox, daß die Abwahl der westdeutschen Ökos als Signal für die Länder verstanden werden könnte, wo in den nächsten Monaten Wahlen anstehen.
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