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Oberkörperfreie MännerZieh dir was an, Bro!

Valérie Catil
Kommentar von Valérie Catil

Männer oben ohne? Im Club peinlich, auf der Straße: unangebracht, im Freibad: okay. Wo verlaufen die Grenzen? Eine Spurensuche im Berliner Prinzenbad.

Foto: Carmen Seils

D ie Untersuchung beginnt dort, wo oberkörperfrei zu sein heute recht unkontrovers ist: im Berliner Prinzenbad. Seit 2023 ist es auch Frauen in den Berliner Bädern gestattet, oben ohne zu schwimmen, in der Pommesschlange zu stehen oder sich zu sonnen. Damals staunten die harten Kreuzberger Jungs noch, liefen rot an, kicherten beim Anblick der frisch geschlüpften Brüste, die sich auf einmal in der Hitze tummelten.

Heute hat man sich an den Anblick gewöhnt. So scheint es zumindest an diesem 33 Grad heißen Tag im Freibad an der Prinzenstraße, wo ich mich mit Freundinnen eingetroffen habe, um darüber zu konferieren, wann genau es immer noch ein Problem ist, oben ohne zu sein. Nicht für Frauen, sondern für Männer. Die Debatte folgt meist binären Kategorien – unsere Diskussion größtenteils ebenso.

Es gibt nur wenige Orte neben dem Prinzenbad, wo Frauen das dürfen oder können, was Männern längst gestattet ist. Gerade deshalb sind für viele nackte Männeroberkörper in der Öffentlichkeit ein absolutes No-go. „Ekelhaft“, „komplett daneben“, „eine Zumutung“, ist sich die Runde einig.

Männliche Fleischmassen, die sich schwitzend durch die Straßen bewegen, als gehörte ihnen die Welt

Doch wie lautet die genaue Regel? Im Prinzenbad stört es ja auch niemanden. Ist es nur eine Frage des Ortes?

Oben ohne mit Helm

Es wagen nicht viele, doch im Sommer sieht man sie immer wieder, die männlichen Fleischmassen, die sich schwitzend durch die Straßen bewegen, als gehörte ihnen die Welt. „Zieh dir was an!“ rief neulich eine Passantin, als ein T-Shirt-loser Mann – trotzdem vorbildlich einen Fahrradhelm tragend – an ihr vorbeizog.

„Ich habe letztens einen oberkörperfreien Mann an der Torstraße gesehen. An der Torstraße! Also mitten in der Mitte von Berlin“, berichtet eine Freundin. Alle schütteln angewidert den Kopf. Versuche, den Mann zu verteidigen, gibt es nicht. Heißt: In städtischen Straßen greift offenbar ein klares Kleidungsgebot für alle.

Wie ist es mit öffentlichen Sportplätzen? Oder Skateparks? „Ich weiß nicht, warum, aber finde ich okay,“ sagt eine. Schließlich sei es ein abgetrennter Bereich innerhalb der Stadt. Fairer Punkt, würde man denken, aber: „Ich könnte da doch auch nicht ohne Top trainieren,“ erwidert eine Pro-Shirt-Verfechterin. Zum ersten Mal gibt es Differenzen.

Keine sexuelle Konnotation?

Konfrontiert man Männer damit, dass man als Frau nun mal nicht shirtlos in die Öffentlichkeit treten kann, argumentieren diese manchmal, dass Frauenbrüste sekundäre Geschlechtsmerkmale seien, die nun mal eine sexuelle Konnotation haben. Das sei bei der flachen Männerbrust nicht der Fall.

Natürlich gehören zu den männlichen sekundären Geschlechtsmerkmalen aber auch ihre vermehrte Behaarung nach der Pubertät, der vergrößerte Adamsapfel oder die tiefere Stimme. Nichts davon müssen sie in der Öffentlichkeit verstecken, um nicht als unangebracht entblößt zu gelten. Der Unterschied ist lediglich: Frauen unterliegen mit ihrer Kleidung schärferen moralischen Vorstellungen als Männer.

„Am schlimmsten“, sagt eine in der Runde, „ist, wenn man oberkörperfreie Männer darauf anspricht, dass man sich als Frau auch nicht einfach ausziehen könne, und die dann grinsend antworten: Mach doch.“ Alle nicken heftig, headbangen fast, als hätten wir dieses Gespräch schon alle einmal führen müssen. Natürlich könne man sich nicht ausziehen, denn man fühle sich eben nicht sicher. Außerdem gilt die nackte Frauenbrust als Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und ist auch auf den sozialen Medien schlichtweg verboten.

Ist oberkörperfrei im Club ok?

Wir diskutieren weiter, um klaren Grundsätzen näherzukommen und wollen uns nicht zu sehr auf die „Was ist mit Frauen?“-Frage versteifen. Schließlich beträfen die Grundsätze, die wir hier schaffen wollen, ausschließlich Männer.

Straße? Nein. Beim Sport? Vielleicht. Ein anderer Ort, wo man wohl oder übel viel Männerhaut zu sehen bekommt, ist im Club. „Je mehr oberkörperfreie Typen, desto mehr muss man den Club vermeiden.“

Dabei gehe es nicht um queere oder sexpositive Partys – dort fühlen sich auch Frauen dazu frei und sicher, und auch beispielsweise trans Männer, die nach einer Mastektomie ihre Brust zeigen, können dies als Akt der Selbstermächtigung empfinden. Dafür werden sie gefeiert. „Da gehört das dazu.“

Tomorrowland-Vibes

Problematisch seien eher die Partys, wo sich Bros ausziehen, um ihre Muskeln zu präsentieren. „Horror,“ kommentiert eine. „Tomorrowland-Vibes.“

Dabei entsteht nebenbei noch eine Regel. Es geht offensichtlich nicht um die Art von Körper, die problematischen Typen in aller Öffentlichkeit auspacken: Egal, ob durchtrainierte, schlanke, dicke, breite, große oder kleine – die Jury im Schwimmbad findet sie alle daneben.

Auch die im Club. „Und bei Festivals?“, frage ich nach. Da gehe das schon eher, sagen ein paar. „Kommt aber an auf die Art, wie.“ Manche nähmen nämlich viel Platz mit ihrer nackten Präsenz ein, können fast bedrohlich wirken, als müssten sie beweisen, dass ihnen mehr zustünde. In manchen anderen Fällen sei es okay.

Auch hier kommen wir nicht ganz auf einen Nenner. „Ich finde es beim Festival genauso panne. Ich will keinen Schweiß abbekommen beim Tanzen.“ Stimmt auch wieder. Vielleicht stellen wir auch die ganz falsche Frage.

Nackte Ungerechtigkeit

Ist es nicht Zeugnis einer großen Verklemmtheit, gegenüber Freizügigkeit so abgeneigt zu sein? Schließlich ist es eine äußerst westliche, vielleicht durch rest-christliche Scham geprägte Sicht. Wäre es nicht sinnvoller, stattdessen mehr Prinzenbad zu wagen?

Wo sich Männer wie Frauen entblößen, und die Mäuler der Gaffer, allein aus Gewohnheit an die Nacktheit, irgendwann geschlossen sein werden. Eher unwahrscheinlich. Denn der Unterschied ist: Vor dem Bademeister sind wir alle nackt und bloß. Und anders als auf der Straße damit ähnlich verletzlich.

Auf der Suche nach klaren Regeln kann man eben doch nicht ausklammern, dass eine Ungerechtigkeit existiert, was Nacktheit angeht, die von den Oben-ohne-Männern nicht wahrgenommen wird. Sie besitzen in dem Moment, in dem sie sich in der Öffentlichkeit ausziehen, nicht die Fähigkeit, eine Situation zu lesen: Ihnen ist nicht bewusst, wie viel Raum sie damit einnehmen, wie einschüchternd oder dominierend ihr Verhalten wirken kann.

Die Fähigkeit, Situationen zu lesen, kann bei Frauen dagegen überlebenswichtig sein. Sie muss ständig ihre Umgebung einschätzen, Stimmungen und mögliche Gefahren wahrnehmen.

Neben wen setzt sie sich in der U-Bahn? Wie geht sie nach Hause? Welcher Platz im Park ist am sichersten? Das dazu noch oberkörperfrei zu tun, ist unmöglich. Vielleicht also sollten korrekte Männer einfach aus Solidarität darauf verzichten, sich auszuziehen.

Die zehn Gebote des Oben-ohne-Seins ließen sich im Schwimmbad nicht in Stein meißeln – vielleicht, weil es diese Klarheit nicht gibt. Stattdessen haben wir Grauzonen und Uneinigkeiten entdeckt. Ob oder wann Männer oben ohne unangemessen sind, darüber lässt sich eigentlich nur eines sicher sagen: Man weiß es, wenn man es sieht.

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Valérie Catil
Gesellschaftsredakteurin
Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.
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