: Obdachlosen-Katen
„Haben Sie schon von den Plänen des Senats gehört“, fragt gestern Herr Studienrat Arnold, „für die Nichtseßhaften ,Obdachlosen-Katen' aus Holz zu bauen, die auf die städtischen Anlagen gesetzt werden sollen? Beispielsweise auf die Moorweide oder in den Schanzenpark?“ „Ja“, antwortet Jungunternehmer Aschler, „und ich meine, es ist eine grandiose Idee, die unserer Stadt eine besondere Note verleiht und außerdem den Nichtseßhaften die Möglichkeit gibt, ihre soziale Stellung besser zu vermarkten als sie es mit ihrer ,Pappschild-Bettelei' tun.“ „Was meinen Sie damit?“ fragt nu de Lürikerin Nele Hütlein, „ich finde es nämlich grundsätzlich peinlich, randständige Menschen in irgendeiner Weise auszustellen oder vorzuführen.“ „Wieso peinlich?“ kommt Herr Aschler in Fahrt, „es bringt doch nur Vorteile für die Nichtseßhaften: Die Bürger wissen, wo sie Geld-, Kleidungs- und Nahrungsmittelspenden abgeben können. Firmen wissen, wo sie nachfragen können, wenn sie Aushilfs-Arbeitskräfte brauchen, die Nichtseßhaften könnten sogar gegen ein kleines Entgelt ihre Behausung und Inneneinrichtung von Touristen besichtigen lassen oder selbstzubereitete ,Berber-Snacks' anbieten ...“, und als Frau Hütlein protestiern will: „Nichts anderes machen doch die englischen Lords, wenn sie ihre Schlösser für ein Eintrittsgeld zur Besichtigung freigeben.“ „Außerdem“, meint nu Herr Studienrat Arnold, „könnte dieses Senatsprojekt, vorausgesetzt, die Katen werden einfühlsam ihrer Umgebung angepaßt und an eine passende Bau-Tradition gebunden, etwas vom Charme der alten Armenhäuser vermitteln. Und ich könnte mir schon Oberstufen-Exkursionen meines Gymnasiums vorstellen, wo im Rahmen eines Unterrichtsprojektes die Schüler die ,moderne Armut' erforschen.“ „Und wie soll das praktisch ablaufen?“ schiebt Jungunternehmer Aschler neugierig sein' Hals aussen Oberhemdkragen. „Man könnte“, eifert nu Herr Arnold ab, „die Nichtseßhaften interviewen, sie über ihre Herkunft, über ihre Ausbildung befragen, könnte den Gründen ihres Scheiterns nachspüren. Man könnte sie außerdem fotografieren, abzeichnen, Gedichte über sie anfertigen ...“ Der Herr Studienrat ist richtig heißgelaufen in sein' Eifer, aber denn läßt er wieder sein' Kopp auffe Brust baumeln: „Nun, das sind alles so Träume, die sich ja doch nicht realisieren lassen.“ „Stimmt“, nickt Herr Aschler, „der normale Berber bringt doch nichts weiter, als passiv dazuhocken und vor sich hinzudösen. Daß er mal 'ne Bierdose aufreißt, ist schon das Äußerste an Aktivität.“ „Ja, ja“, pauert nu Studienrat Arnold wieder los, „und deshalb müßte man, sollte das Senatsprojekt wirklich zu einem Erfolg werden, diese Nichtseßhaften ersetzen! Etwa durch Junglehrer ... oder durch Volontäre bei den Medien ... auch Assistenzärzte wären geeignet, ebenso Künstler ...“ Jetzt hat auch die Lürikerin Hütlein Feuer gefangen. „Wunderbar!“ schreit sie, „das wäre noch besser als das ,Writers-Room'-Projekt! Man könnte Lürik-Lesungen aus dem Katen-Eingang heraus veranstalten! Außerdem: So weit entfernt vom sozialen Status der Nichtseßhaften sind die Schriftsteller auch gar nicht!“
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