Obama für Todesstrafe bei Pädophilen: Der intellektuelle Populist

Der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama geht lieber sichere ausgetrampelte Pfade als unsichere neue. Der Grund: Er will die Wahl gewinnen.

Für "das Recht, Empörung mit der Todesstrafe zum Ausdruck zu bringen": Obama Bild: dpa

WASHINGTON taz Es ist die zweite knappe Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofes in nicht einmal zehn Tagen: Mit 5:4 Richterstimmen hat der Supreme Court am Mittwoch entschieden, dass die Todesstrafe für Vergewaltiger von Minderjährigen gegen die Verfassung verstoße. Damit haben die Richter zwei im Bundesstaat Louisiana verurteilten Kindesvergewaltigern das Leben gerettet - und beiden Präsidentschaftskandidaten die Gelegenheit gegeben, ihr gesundes Volksempfinden unter Beweis zu stellen. Sowohl der Republikaner John McCain als auch der Demokrat Barack Obama brauchten nur Stunden, um Richterschelte zu veröffentlichen. "Die Vergewaltigung eines kleinen Kindes, sechs oder acht Jahre alt, ist ein abscheuliches Verbrechen. Und wenn ein Staat die Entscheidung trifft, dass unter bestimmten, begrenzten, klar definierten Umständen dafür zumindest potenziell die Todesstrafe verhängt werden kann, dann verletzt das nicht unsere Verfassung", erklärte Obama.

Tatsächlich ist Barack Obama in seiner politischen Karriere niemals grundsätzlich gegen die Todesstrafe eingetreten. Zwar erinnern alle Zeitungen daran, dass er in seiner Zeit als Senator in Illinois darauf hingearbeitet hat, dass die Justiz weniger Fehlurteile zustande bringt bzw. solche falschen Entscheidungen leichter revidiert werden können.

Aber schon in seiner Biografie "The Audacity of Hope" (Wagnis Hoffnung) hatte Obama geschrieben: "Auch wenn die Beweislage dafür spricht, dass die Todesstrafe kaum eine abschreckende Wirkung hat, glaube ich, dass es einige Verbrechen gibt - Massenmord, Vergewaltigung und Ermordung von Kindern -, die so abscheulich sind, so jenseits des Akzeptablen, dass die Gemeinschaft das Recht hat, ihre ganze Abscheu durch die höchstmögliche Bestrafung zum Ausdruck zu bringen." Ein typischer Obama-Satz. Der Anfang sagt: Ich bin Harvard-Absolvent, könnte als Anwalt unglaublich viel Geld verdienen, weiß, dass die Todesstrafe eigentlich nichts bringt und kenne alle Argumente. Der zweite Teil sagt: Hört auf das Volk, und also: Rübe ab!

Es ist genau diese Mischung von kalkuliertem Intellektualismus und Populismus, die Obama so weit gebracht hat. Bei der linken Mittelschicht hinterlässt er das (positive!) Gefühl, er meine es gar nicht so, er könne doch nicht anders, das muss man doch verstehen, Obama wolle ja nicht Asta-Vorsitzender werden, sondern US-Präsident - aber er ist doch einer von uns. Und beim Mainstream hinterlässt er die Botschaft: Der Mann ist zwar intellektuell, aber eben nicht, was ihm seine Gegner immer vorwerfen, elitär. Obama versteht uns.

Dabei ist die jüngste Episode um das Todesstrafenurteil des Obersten Gerichtes nur ein Aperçu. Der New-York-Times-Kolumnist David Brooks schrieb vergangene Woche unter der Überschrift "Die zwei Obamas", Obama sei die "gespaltenste politische Persönlichkeit" des Landes und "der einzige Politiker unserer Zeit, der unterschätzt wird, weil er zu intelligent ist. Er spricht so ruhig und vielsilbig, dass die Menschen den machiavellistischen Ehrgeiz in seinem Innern gar nicht bemerken." Tatsächlich ist es Barack Obama gelungen, eine bestens geölte Wahlkampfmaschinerie, die über weit mehr Geld verfügt als seine Gegner und die Klaviatur von PR und Fundraising perfekt beherrscht, als Underdog-Bewegung gegen die korrupten Mechanismen Washingtons zu verkaufen - das muss man erst einmal schaffen.

Dabei ist zumindest von seinen Versprechen, mit ihm werde ein völlig neuer Politikstil in Washington Einzug halten, schon jetzt nicht viel übrig geblieben. Der jüngste Coup des Obama-Lagers: In der vergangenen Woche erklärte Obama, er ziehe sich für die Wahlen im November aus der öffentlichen Wahlkampffinanzierung zurück. Damit verzichtet Obama auf rund 84 Millionen US-Dollar öffentlicher Gelder, die ihm zugestanden hätten - dafür muss er sich nicht an die Regeln halten, die mit dieser Finanzierung einhergehen. Nicht einmal die üblichen Mechanismen, diese Regeln zu umgehen, müssen Obama noch interessieren. Das Pikante: Niemand war so sehr gegen Lobbyeinfluss und für öffentliche Wahlkampffinanzierung unter strikt geregelten Bedingungen in die Bütt gestiegen wie Obama. In einem über seine Website vertriebenen Video begründet er jetzt den Schritt damit, das System funktioniere ohnehin nicht, die Republikaner verstünden perfekt, seine Lücken auszunutzen, und um da mithalten zu können, steige er aus.

Das ist besonders bizarr, wenn man weiß, dass er bislang über etwa doppelt so viel Geld verfügt wie sein konservativer Gegenspieler und derzeit sogar anbietet, seiner einstigen Gegenspielerin Hillary Clinton zu helfen, die 22 Millionen Dollar Schulden abzubauen, die ihre gescheiterte Kampagne hinterlassen hat. Zum Ausgleich hat sie ihm vor wenigen Tagen ein Treffen mit ihren Großsponsoren vermittelt - und allein die könnten, so wird geschätzt, für weitere rund 100 Millionen Dollar gut sein.

Auch der Einfluss von Lobbyisten und Washington-Insidern in Obamas Kampagne ist offenbar zumindest größer als es der Eigendarstellung Obamas lieb ist. Anfang dieser Woche enthüllte die New York Times, dass unter seinen Beratern eine ganze Reihe führender Unternehmer und Propagandisten der Ethanol-Branche sind - immerhin tatsächlich eine Veränderung zum Ölumfeld des derzeitigen Präsidenten.

Obama braucht Washington-Insider als Berater, sowohl um die Wahlen zu gewinnen, als auch um dann mit dem Senat regieren und tatsächlich Pläne umsetzen zu können. Sobald er sich aber genau auf solche Insider verlässt, kommt er in Schwierigkeiten und seine eigene Glaubwürdigkeit ins Wanken. Insider Jim Johnson etwa, von Obama mit der Suche nach einem geeigneten Vizepräsidentschaftskandidaten betraut, musste in der vergangenen Woche zurücktreten, nachdem bekannt geworden war, dass er von der US-Hypothekenbank Countrywide Millionenkredite zu Vorzugsbedingungen erhalten hatte. Im Land der Immobilienkrise kommt so etwas nicht gut an.

Und nicht nur das. Je näher der Wahltermin rückt, desto mehr muss Obama inhaltlich Position beziehen. Wie andere Kandidaten vor ihm geht er dabei lieber sichere ausgetretene Pfade als unsichere neue - geht es doch jetzt darum, all jene Gruppen zu gewinnen, die ein Präsidentschaftskandidat zumindest nicht gegen sich haben darf.

Bei einer außenpolitischen Grundsatzrede vor dem Politikforum von Aipac etwa, der einflussreichen proisraelischen Lobbygruppe, machte sich der Kandidat nahezu alle Positionen zu Eigen, die auch in den vergangenen Jahren die Nahostpolitik der Bush-Regierung kennzeichneten. Die Hamas, die 2006 in den palästinensischen Gebieten die Wahlen gewann, hätte gar nicht kandidieren dürfen, wenn es nach Obama gegangen wäre. Und ein zukünftiger palästinensischer Staat soll zwar sein, aber nur unter der Bedingung einer ungeteilten israelischen Hauptstadt Jerusalem. Verändern tut sich an dieser Front damit nichts. Und von seinem Versprechen, ohne Vorbedingungen mit allen Gegnern der USA das Gespräch zu suchen, von Irans Machmud Ahmadinedschad bis Kubas Raul Castro, ist in Obamas Reden immer weniger zu hören.

Er will halt wirklich gern Präsident werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.